Die freiherrlichen Bewohner des Schlosses Biesdorf

 

Wenn Karl-Heinz-Gärtner, der Biesdorfer Ortschronist, zu einer Veranstaltung lädt, ist zweierlei klar: noch am Folgetag verdaut der Kopf die eingesogene Datenmenge, nach einer Woche beginnt er dieselben zu sortieren und zu verarbeiten. Einen solchen geistigen Vorgang wollen wir Ihnen heute darbieten.

Zum Auftakt der neuen Vortragsserie 2014/15 zum Schloss Biesdorf hatte Karl-Heinz Gärtner am 13.10.2014 die Bewohner des Schlosses seit 1868 unter die Lupe genommen und Bekanntes und neu Recherchiertes dem interessierten Publikum vorgestellt. Dabei wurde augenfällig: im Hintergrund der frühen Bewohnerschaft laufen die Geschichte Preußens und des Kaiserreiches parallel mit. Wir wollen uns in diesem Beitrag auf die Zeit von 1868 bis 1887 beschränken. Im Dezember folgt hier ein Beitrag über die gut 30 Jahre währende Besitzung der Industriellenfamilie von Siemens.

Gut und Schloss Biesdorf als freiherrlicher Besitz

Die ersten Besitzer und Bewohner des Schlosses Biesdorf stammten aus den Adelsfamilien von Rüxleben und von Bültzingslöwen. Beide waren in Thüringen ansässig; es zog sie nach Berlin: die Hauptstadt Preußens und des späteren Kaiserreiches war in den 1860er Jahren schon einmal schwer „in“. Hintergrund waren einerseits die aufholende Industrialisierung in den deutschen Ländern mit der einhergehenden Mechanisierung und Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, die die Agrikultur aktivierte; andererseits die herausragende Rolle Preußens bei der Vorbereitung der Reichsgründung durch die erfolgreichen Kriege gegen Dänemark und Österreich sowie 1870/71 gegen Frankreich. Dies hatte in Deutschland, zumal in Preußen, eine vaterländische Welle ausgelöst. „Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin“ war schon damals eine beliebte Denkart. Dass ausgerechnet zwei Adelsfamilien aus Nordthüringen die Schlossgründer sein sollten, war eher Zufall.

Die Rüxlebens stammten aus dem gleichnamigen Dorf, nördlich unterhalb der Hainleite im Landkreis Nordhausen gelegen; ein auch Mitte des 19. Jahrhunderts eher strukturschwaches Gebiet.

 

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Ehemaliges Gutshaus in Rüxleben

 

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Kirche St. Maria Virginis in Rüxleben

 

Im Jahre 1853 kaufte Hans Bruno Freiherr von Rüxleben das Gut für 45.000 Taler. Es war in den Jahren seit 1820 immer wieder schnell von Hand zu Hand gegangen. Beim Verkauf wurde kaum Profit, aber oft Verlust erzielt. Die Böden galten als devastiert, Vieh und Stallungen als verbraucht. Es wird über die Rüxlebens nichts Näheres berichtet, außer dass der Senior das Gut 1863 an seinen Sohn Hans Hermann Freiherr von Rüxleben vererbte. Dieser scheint sich weniger um die Landwirtschaft als um Bodenspekulationen in Berlin gekümmert zu haben. Immerhin lernt er dabei die junge Tochter eines der reichsten Immobilienbesitzers Berlins, Wilhelm Griebenow, kennen. Griebenow war Besitzer des Gutes Niederschönhausen, dessen Terrain die gesamte Gegend von der Zionskirche bis zum Gesundbrunnen umfasste. Griebenow machte sich verdient um die Entwicklung des später Prenzlauer Berg genannten Gebietes und förderte ab 1815 die Besiedlung des Wedding. Er selbst nannte sich „Gründer der Oranienburger Vorstadt“ und stiftete das Grundstück zum Bau der Gethsemanekirche. In der Umgebung ist seitdem die Griebenowstraße nach ihm benannt. Der alte Griebenow griff mit Vehemenz, insbesondere nach Erwerb eines Rittergutes in Groß-Leuthen, nach den Insignien des Adels, was ihm jedoch verwehrt blieb. Es gelang seiner Witwe – Griebenow starb 1865 – jedoch, alle drei Töchter mit Grafen bzw. Freiherren zu verheiraten.

An dieser Schnittstelle trafen sich der 28jährige von Rüxleben und die noch 17jährige Anna Pauline Griebenow im Jahre 1867: er ziemlich mittellos, sie reich und bürgerlich, aber ohne Titel. Er wird ihr schöne Augen gemacht, sie, ermuntert durch ihre Mutter, dem nicht übermäßig widerstanden haben. Als sie schwanger war musste das zu erwartende Kinde ehrbar gemacht werden. Die Hochzeit fand im Mai 1868 gerade noch rechtzeitig statt. Nun ward mit Töchterchen Margarethe ein Rüxleben-Zweig in Berlin kreiert.

 

Anna Pauline

Anna Pauline von Rüxleben

 

Zuvor aber hatte Witwe Griebenow das von den Rüxlebens in Auftrag gegebene Schloss Biesdorf rohbauseitig finanziert. So war wenigstens ein standesgemäßes Sommerdomizil vor den Toren Berlins zu Ende gebaut worden. Das junge Glück dauerte nicht ewig. Freiherr von Rüxleben huldigte dem Spiel und versetzte Haus und Hof. Er musste 16 Jahre später verkaufen, die Ehe wurde darauf geschieden. Immerhin hatten die Rüxlebens in Biesdorf Wertschöpfung betrieben und den Wert von Gut und Schloss erheblich nach oben getrieben. Finanziert hatte das allerdings die Schwiegermutter: neben dem Schloss kamen zum Besitz sechs Bauerngüter und vier Kossätenwirtschaften. Rüxleben hatte zudem den Eiskeller erbauen und den kleinen Schlosspark zwischen Dorfstraße und Triftsweg anlegen lassen. Zudem wies er den Bau einer soliden Brennerei auf dem Gutsgelände an und verfügte die Einzäunung des Schlosses zur Dorfstraße hin. Der Verkaufspreis lag daher im Jahre 1884 bei 1.329.000 Mark. Der Käufer hieß Baron Günther von Bültzingslöwen.

 

Exkurs Rüxleben

Der Name Rüxleben ist in Berlin nicht beachtenswert präsent. Im Jahre 2005 hat in der Kunstwelt allerdings eine Leonie von Rüxleben mit ihrem Testament auf sich aufmerksam gemacht. Sie wurde 1920 in Berlin geboren, zog nach dem Krieg nach Hamburg, wo sie als Getreidemaklerin tätig war. Nebenbei sammelte sie Grafik, ausschließlich Selbstporträts. Über viele Jahre wuchs so nach und nach eine ganz besondere Sammlung grafischer Blätter von insgesamt 1500 Werken. Frau von Rüxleben stiftete ihre Sammlung der Bremer Kunsthalle St. Annen. Dort ist aktuell die 9. Teilausstellung noch bis zum 18.1.2015 zu sehen. Es ist nicht absolut sicher, ob Leonie von Rüxleben zur „Biesdorfer“ Familie gehört, aber es liegt sehr nahe. Hier zwei Blätter aus ihrer hoch beachteten Sammlung:

Max Liebermann

Max Liebermann

Ernst-Ludwig Kirchner

Ernst-Ludwig Kirchner

 

Die Bültzingslöwen sind ein thüringisches Uradelsgeschlecht. Der Kurmainzer Amtmann Siegfried von Bültzingslöwen, der 1381 die Harburg bei Haynrode im Eichsfeld in Besitz genommen hatte, ist Stammvater aller heute lebenden von Bültzingslöwen. Die Geschichte Haynrodes ist danach eng mit dem Geschlecht derer von Bültzingslöwen verknüpft. Sie waren ab 1381 Pfandinhaber der Harburg und Haynrodes einschließlich aller Waldungen und Güter und lebten nach der Zerstörung derselben im Bauernkrieg 1525 in Haynrode. Da den Bültzingslöwen zugleich geistliche Befugnisse oblagen, und das lange Zeit vor der Reformation , waren sie ohne Zweifel auch die Kirchengründer in Haynrode. Im Zuge der Reformation wurde Haynrode unter dem Einfluss der Bültzingslöwen evangelisch. Im Bauernkrieg wurde am 15. Mai 1525 der Herrensitz derer von Bültzingslöwen, die Harburg, von aufständischen Mühlhäuser Bauern verwüstet und geplündert. Im Zuge der Napoleonischen Kriege  kam zum 1. Januar 1808 die Aufhebung der Lehnsverfassung und der Patrimonialgerichtsbarkeit in Gang. Unter der nachfolgenden preußischen Herrschaft wurde Haynrode am 15. Juni 1816 aus der Pfandschaft der Grafen von Schwarzburg–Sondershausen entlassen und dem preußischen Eichsfeldkreis Worbis eingegliedert. Die Hofherren traten ausnahmslos als hochrangige Offiziere in den Königlich Preußischen Militärdienst ein. Die Trennung von der Scholle und der Weg in die Welt hat den Bützingslöwen, im Gegensatz zu den Rüxlebens, eine völlig neue Perspektive gebahnt.

Bültzingslöwen-Wappen

Das Familienwappen

Schloss_Haynrode_Bültzingslöwen

Das ehemalige Schloss in Haynrode

 

Günther Karl Wilhelm von Bültzingslöwen ging als gebürtiger Haynrodaer und einer der Erstbetroffenen nach Lübeck. Er war dort als technischer Zeichenlehrer tätig. Bereits sein Sohn Ferdinand wurde Offizier im Lübecker Kontingent  des Bundesheeres und stieg bis zum Stadtkommandanten von Lübeck auf. Im deutsch-dänischen Krieg 1866 befehligte Ferdinand als Major das Lübecker Bataillon der Oldenburgisch-Hanseatischen Brigade. Ferdinand von Bültzingslöwen hatte acht Kinder, das älteste von ihnen war Günther – der spätere Besitzer von Schloss Biesdorf. Ferdinand nun, der in Lübeck als Geodät, zu deutsch Feldmesser, tätig war und dort Teile der Hansestadt neu vermaß, hatte einen Schüler im Feldmessen, der später weltberühmt werden sollte: Werner Siemens.

Günther von Bültzingslöwen war 23 Jahre jünger als Werner Siemens. Er verließ mit 16 Jahren das Lübecker Katharineum und erlernte den Kaufmannsberuf. Danach zog er als 18jähriger im Jahre 1858 nach Java, um dort sein Glück zu machen. Durch den Anbau und Handel mit Kaffee und Zuckerrohr kam er schnell zu einem ansehnlichen Vermögen. Er wurde zum Konsul des Norddeutschen Bundes und später des Deutschen Reiches ernannt.

Bültzingslöwen

Günther von Bültzingslöwen als junger Mann

 

1873 beteiligte er sich aktiv an der niederländischen Invasion gegen das Sultanat von Aceh; er diente bei den Johannitern. Geschwächt durch ein chronisches Fieber, das er sich dabei zugezogen hatte, ging er 1875 vorübergehend wieder zurück nach Deutschland und lebte bei seiner Familie, die inzwischen nach Dresden gezogen war. Von Kaiser Wilhelm wurde er in Berlin empfangen und mit dem Kronenorden 3.Klasse am schwarz-weißen Band des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Vom bayerischen König erhielt er den Orden vom Heiligen Michael 3. Klasse. 1877 wurde er zum Ehrenritter des Johanniterordens ernannt.

Im Dezember 1883 war er gezwungen, nach Europa zu seiner Mutter zu reisen, die schwer krank war – sein Vater war im Jahr zuvor verstorben. Er sollte nicht nach Asien zurückkehren, sondern pendelte zwischen Dresden, Berlin und den Niederlanden hin und her. Dabei wurde er auch auf Schloss und Gut Biesdorf aufmerksam, das er dann von Hans Hermann von Rüxleben erwarb. Bültzinglöwen, der mittlerweile nicht übermäßig solvent war, wollte in Biesdorf Kapital aus der Zuckerkrise der 1880er Jahre schlagen und konzentriert Rüben anbauen. Das Vorhaben schlug, wohl auch wegen der schwachen Böden, fehl und ruinierte Bültzingslöwen, so dass er verkaufen musste.

Nun trat ein, was wir heute das „Wunder von Biesdorf“ nennen können. Werner Siemens, der ihm und seinem Vater seit der gemeinsamen Lübecker Zeit verbunden war, gab ihm ein Darlehen und übernahm schließlich zum 1. April 1887 das Anwesen. Das freiherrliche Experiment war gescheitert, an seine Stelle traten bürgerliche Tatkraft und Strenge – ganz im Sinne der Epoche.

Günther von Bültzingslöwen starb zwei Jahre später an einem Herzschlag auf einem Berliner Bahnhof. Er wurde in der Familiengruft auf dem Alten Annenfriedhof in Dresden beigesetzt.

 

Bültzingslöwen_Familiengrab_Dresden

Familiengrab in Dresden

 

Exkurs Bültzingslöwen

Durch die praktische Enteignung von 1816 lastete auf den Bültzingslöwen der Zwang, sich im bürgerlichen Leben zu bewähren. Dies war aber insofern nicht existenzgefährdend, als gerade in Preußen die Macht mit dem Adel und der Adel unter sich kooperierte. Günther von Bültzingslöwen als ältester Sohn hatte sieben Geschwister, darunter die Schwester Mathilde von Bültzingslöwen. Diese heiratete um 1870 den bürgerlichen Ingenieur Carl Woldemar Becker in Dresden. Das Paar hatte sieben Kinder, darunter die Tochter Paula. Paula war ein sehr kunstsinniges Mädchen. 1888 zog die Familie nach Bremen, da der Familienvorstand eine neue Stelle bei einer privaten Bahngesellschaft antrat. Dadurch kam Paula später mit der Kunstkolonie Worpswede in Kontakt und wurde eines ihrer künstlerischen Aushängeschilder. Ihr voller Name: Paula Modersohn-Becker. Ob Paula als Kind einmal ihren Onkel Günther in Biesdorf besucht hat, ist nicht bekannt und eher unwahrscheinlich. Für das künftige Bilderschloss wäre dieses Faktum herausragend gewesen.

Paula_Modersohn-Becker_1905

Paula Modersohn-Becker 1905

Paula_Modersohn-Becker_Selfie

Selbstbildnis

 

Der jüngste bekannte Spross der Bültzingslöwen heißt Hendrik und ist Schauspieler und Moderator. Er ist sich nicht zu schade, in Vorabendserien Dorfdeppen zu spielen oder in der Werbung aufzutreten. Aktuell moderiert er „Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von …“ im WDR. Auch eine Karriere… Das witzige an der Geschichte: vergleichen Sie die Porträts von Günther und Hendrik von Bültzingslöwen! Zwischen den Fotos liegen mehr als 130 Jahre.

 

Bultzingslowen_G.         Bultzingslowen_H.

Günther                                                Hendrik

 

Hendrik von Bültzingslöwen (im Khaki-Hemd)

 

Hendrik von Bültzingslöwen ist zudem Kult-Chefredakteur von DoppelSechs tv, einem irren Must für alle Fußballfreaks!

 

(Axel Matthies)

 

 

vom: 20.11.2014