Werner von Siemens zum 200. Geburtstag

 

Werner von Siemens, dessen Geburtstag sich am 13. Dezember 2016 zum 200. Mal jährt, war ein großer deutscher Unternehmer in der Epoche der Reichsgründung, die in der deutschen Geschichte von großer Bedeutung ist – sie steht für maßgebende Leistungen in Technik und Wissenschaft und den Aufstieg Deutschlands zu einer europäischen Großmacht. Werner von Siemens hatte mit seiner Firma bedeutenden Anteil an der globalen Vernetzung durch Fernmeldekabel sowie die wirtschaftliche Nutzung der Elektroenergie, durch die Produktions- und Lebensweisen der Menschheit einen intensiven Schub erfuhren. Der Mantel der Geschichte wehte diesen Mann aber auch nach Biesdorf im Landkreis Niederbarnim.

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Büste im Schlosspark

 

Alles hart erarbeitet

Siemens fiel nichts in den Schoß. Sein Vater war Gutspächter in Lenthe westlich von Hannover. Zehn glückliche Kindheitsjahre verbrachte er hier im Kreise seiner wachsenden Geschwisterschar – es sollten schließlich 14 werden.

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Geburtshaus in Lenthe (Foto: Siemens)

 

Danach zog die Familie in die Umgebung von Lübeck. Wirtschaftlich blieb das Leben bescheiden. Obwohl seine schulischen Leistungen besonders in Mathematik auffielen, blieb Siemens nur ein Weg, um eine wissenschaftlich-technische Ausbildung zu erlangen: das Militär. 1835 nahm er als Offiziersanwärter sein Studium an der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule auf und erhielt dort eine umfassende naturwissenschaftliche Ausbildung. Nach dem Tod seiner Eltern, die 1839 und 1840 kurz nacheinander verstarben, musste Siemens die Vaterrolle für seine jüngeren Geschwister übernehmen.

Erste kleine Firma mit geborgtem Startkapital

Siemens war auf der Suche nach einer geeigneten Geschäftsidee, um den Militärdienst beenden zu können.  Silvester 1846, Werner war gerade 30 Jahre  alt geworden, plagten ihn Depressionen. Er konnte die Verantwortung für die Geschwister nicht einlösen. Da beschloss er, sich ein festes wirtschaftliches Fundament durch die Telegraphie zu schaffen. Der Siemens’sche Zeigertelegraf war den bisherigen Apparaten dieser Art überlegen, weil er nicht mehr ähnlich einem Uhrwerk arbeitete, sondern einen selbsttätig gesteuerten Synchronlauf zwischen Sender und Empfänger hatte – eine völlig neuartige Lösung der elektrischen  Nachrichtenübertragung. Mit dem Bau des Telegrafen beauftragte der 30-jährige Erfinder den Feinmechaniker Johann ­Georg Halske, den er aus der „Physikalischen Gesellschaft“, einer Vereinigung ambitionierter junger Wissenschaftler, kannte. Halske fertigte im Auftrag vieler renommierter Naturwissenschaftler der damaligen Zeit Versuchsanordnungen sowie Prototypen feinmechanischer, physikalischer, optischer und chemischer Erfindungen. Da die einzelnen Telegrafen in Handarbeit produziert wurden, erübrigte sich die Anschaffung größerer Maschinen. Das Startkapital in Höhe von 6.842 Talern stammte von Werners Vetter und Vater des späteren Mitbegründers der Deutschen Bank, dem Justizrat Johann Georg Siemens.

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Erster Briefkopf um 1853 (Foto: Siemens)

 

Ein Jahr später kam die Initialzündung für die Firma. 1848 erhielt das junge Unternehmen einen politisch wichtigen Auftrag: eine Telegraphenleitung von Berlin nach Frankfurt am Main herzustellen, denn dort tagte die deutsche Nationalversammlung. Ziel dieser war die Schaffung einer Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Deutschland sollte Eins sein, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen. Geplant war, dass der preußische König Friedrich Wilhelm IV. am Ende zum deutschen Kaiser gewählt wird. Binnen einer Stunde hatte der preußische König in Berlin alle aktuellen Ergebnisse des Parlamentes auf seinem Schreibtisch. Damit wurde die Firma Siemens & Halske auf einen Schlag bekannt und weitere Aufträge zum Bau von Telegraphenverbindungen in Preußen und anderen deutschen Staaten folgten.

Die Firma errichtete bald Telegrafenleitungen in ganz Europa. Bruder Carl baute das Geschäft in Russland aus, während unter Wilhelms Aufsicht eine Kabelfabrik in England gegründet wurde. „Siemens und seine Brüder haben immer hochriskante Geschäfte gemacht“, urteilt der Wirtschaftshistoriker Johannes Bähr. „Aber sie waren eben durch und durch Unternehmer.“ 1867 erhielt Siemens & Halske die Konzession zum Bau der indo-europäischen Telegrafenlinie, die von London bis Kalkutta reichen sollte. In drei Jahren Bauzeit wurde die Trasse errichtet, die bis in die 1930er Jahre verwendet wurde. Ein weiteres Beispiel für Siemens‘ Unternehmergeist war die Verlegung der transatlantischen Seekabel. Ein technisch höchst anspruchsvolles Unterfangen, das Siemens löste, indem er ein spezielles Kabellegerschiff bauen ließ. Die „Faraday“, die 2700 km Kabel mit einem Gewicht von 4500 t an Bord nehmen konnte, war eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Schiff wurde das erste Kabel von Irland bis Neuschottland in vier Monaten verlegt. Siemens fertigte die Kabel in eigenen Werken. Das Schiff war jahrzehntelang im Einsatz.

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Kabelleger „Faraday“ (Foto: Siemens)

 

Elektrizität revolutioniert Produktions- und Lebensweise der Menschen

In den 1860er Jahren machte Siemens schließlich die Entdeckung, die in ihrer Konsequenz zur Elektrifizierung der Welt führen sollte: das dynamoelektrische Prinzip. Siemens wusste, dass dieses Prinzip Folgen haben würde. „Die Effekte müssen bei richtiger Konstruktion kolossal sein“, schrieb er Ende 1866 an seinen Bruder Wilhelm. Und das waren sie in der Tat. Zwar wurde das dynamoelektrische Prinzip zeitgleich auch von anderen Wissenschaftlern formuliert, doch war es Siemens, der es am konsequentesten vermarkten konnte. Siemens war in der Folgezeit an der Elektrifizierung der Lokomotive, der Straßenbahn und der Straßenbeleuchtung, erste Beleuchtung in der Berliner Kaisergalerie, beteiligt und sein Unternehmen baute auch die ersten elektrischen Aufzüge.

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Erste europäische U-Bahn 1896 in Budapest, erbaut von Siemens (Foto: Siemens)

 

Liberaler Abgeordneter und humaner Unternehmer

Neben seinen technischen und unternehmerischen Tätigkeiten war Siemens auch politisch  aktiv. 1863 bis 1866 saß er für die liberale Deutsche Fortschrittspartei im Preußischen Abgeordnetenhaus. Sein Unternehmen setzte Maßstäbe bei der Humanisierung der Arbeitswelt und führte bereits 1873 einen Neun-Stunden-Arbeitstag ein. Zugleich sorgte er für eine betriebliche Kranken- und Rentenversicherung. Er war maßgeblich beteiligt an der Vereinheitlichung des Patentwesens in Deutschland und legte die Basis für die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Berlin. 1888 wurde er, und seine Familie, für seine vielfältigen Verdienste in den Erbadelsstand gehoben. Vor seinem Tod am 6. Dezember 1892 in Berlin hatte Siemens die Nachfolge in seinem Unternehmen geregelt. Sein Bruder Carl und die Söhne Arnold und Wilhelm führten es unter dem Namen Siemens weiter. Das Unternehmen – am 12. Oktober 1847 mit drei Mitarbeitern ins Leben getreten – hatte nun bereits 6 500 Arbeiter und Angestellte, die einen Jahresgewinn von 20 Millionen Reichsmark erwirtschafteten.

Zuckerrüben statt Elektrizität

Doch wie verschlug es diesen Global Player nun nach Biesdorf im Landkreis Niederbarnim? Die Welt ist ein Dorf, sagt man oft. Siemens hatte als Schüler in Lübeck Geodäsie-Unterricht genommen. Sein Lehrer hieß Ferdinand von Bültzingslöwen. Dessen Sohn Günther war mit niederländischen Kolonialtruppen nach Indonesien gegangen, hatte dort Geld verdient und musste aus Krankheitsgründen zurück nach Deutschland. Er kam nach Berlin und hörte hier vom Gut Biesdorf, das einem ihm bekannt gewesenen Freiherrn Hans-Hermann von Rüxleben gehörte. Die Güter der beiden Freiherren lagen nur einige dutzend Kilometer entfernt im nördlichen Thüringer Land. Diesem kaufte Bültzingslöwen das Gut Biesdorf ab in der Hoffnung, hier Zuckerrüben im Überfluss anbauen und verkaufen zu können. Damals bestand ein riesiger Zuckerbedarf, weil die industrielle Herstellung von Lebensmitteln begonnen hatte. Der Versuch schlug fehl; da wandte sich Bültzingslöwen in seiner Not an den ehemaligen Schüler seines Vaters – Werner Siemens. Siemens war an dem Deal nicht interessiert, aber die übergroße Dankbarkeit für seinen Lehrer gab den Ausschlag, dem Bittsteller 200.000 Reichsmark zu verleihen. Siemens ließ sich gleichzeitig ins Grundbuch eintragen für den Fall, dass Bültzingslöwen nicht reüssiert. So kam es – und neuer Besitzer von Schloss Biesdorf war im Jahre 1887 Werner Siemens. Siemens suchte zu dieser Zeit einen Alterssitz, doch Biesdorf kam für ihn und seine Frau überhaupt nicht in Frage. Er wählte Bad Harzburg.

Der Geist des Ortes

So übernahm wenig später Sohn Wilhelm Gut und Schloss. Er fühlte sich mit seiner Familie wohl, baute das Haus und den Park aus und rüstete, wie der Siemens-Biograf Johannes Bähr formulierte, das Schloss in den 1890er Jahren zu einem „High-tech-Heim“ auf. 40 Jahre, von 1887 bis 1927, war das Schloss im Besitz der Familie. Man muss die Siemens-Zeit als konstitutives Element der Schlossgeschichte betrachten. Es war die erfolgreichste Zeit für das Schloss und die Gemeinde Biesdorf in der Ära des Privatbesitzes. Die Siemens-Zeit ist aus der Schlossgeschichte nicht abzukoppeln, sie muss auf geeignete Weise in den Geist des Ortes, den genius loci, aufgenommen und bewahrt werden.

Am 8. Dezember veranstaltete unser Verein eine Vorlesung im Schloss zum Thema „Wie Werner von Siemens nach Biesdorf kam und welche Folgen das für die Gemeinde Biesdorf und die Stadt Berlin zeitigte“. Vortragender war Dr. Oleg Peters. Damit würdigten wir den 200. Geburtstag dieses bedeutenden deutschen Technikers und Unternehmers, des berühmtesten Schlossbesitzers.

Buchempfehlung

Zum 200. Geburtstag veröffentlichte der Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Johannes Bähr eine neue Werner-von-Siemens-Biografie. Er war im September 2015 in Schloss Biesdorf mit einem bemerkenswerten Vortrag über die Siemens-Familie aufgetreten.

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C. H. Beck

29,95 Euro

vom: 13.12.2016