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War Fontane in Biesdorf?

Biesdorf in Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“

Vor 200 Jahren, am 30.12.1819, wurde Theodor Fontane geboren. Im Jubiläumsjahr des großen Dichters und Erzählers sind wir der Frage nachgegangen, was sich über Gut und Schloss Biesdorf in Fontanes Hauptwerk, den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, findet. Grundlage unserer Recherchen war die im Jahre 2012 im Aufbau Verlag erschienene Ausgabe, identisch mit der Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe (GBA) aus dem Jahre 1997, aus der auch die zitierten Textpassagen entnommen sind.

Die „Wanderungen“ umfassen fünf Bände: „Die Grafschaft Ruppin“ (Band I, 1. Auflage 1862), „Das Oderland“ (II, 1863), „Havelland“ (III, 1873), „Spreeland“ (IV, 1882) und „Fünf Schlösser (V, 1889). Zu der genannten Ausgabe gehören noch die Bände VI und VII, in denen Texte aus dem Nachlass Fontanes veröffentlicht werden, die in einem direkten oder indirekten Kontext mit den „Wanderungen“ stehen.

Das Fontane-Denkmal in der Geburtsstadt Neuruppin

Die Ergebnisse unserer hobbymäßig betriebenen und keineswegs vollständigen Nachforschungen lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:

Erstens: In den fünf Bänden der „Wanderungen“ und im Nachlass (Bände VI und VII) gibt es keinen Aufsatz über Biesdorf. Dieses „Schicksal“ teilt Biesdorf jedoch mit vielen märkischen Orten (mit und ohne Schloss).

Zweitens: Im Aufsatz über Friedrichsfelde (Band IV der „Wanderungen“) wird Biesdorf allerdings erwähnt. Fontane berichtet, dass König Friedrich August von Sachsen (1750 – 1827) nach der Schlacht von Leipzig (1813) Staatsgefangener Preußens und seiner Verbündeten wurde und vom 26.07.1814 bis zum 22.02.1815 im Schloss Friedrichsfelde untergebracht war. „Der König lebte ganz als König“, schreibt Fontane. „Vormittags zwischen elf und zwölf ging er im Park spazieren; nachmittags ward auf die benachbarten Dörfer gefahren, namentlich auf solche, wo ein Park oder ein Fluss war, also nach Stralau, Lichtenberg, Biesdorf und vorzugsweise nach Schönhausen.“ (Wanderungen IV, S. 149)

Drittens: In den „Wanderungen“ begegnen uns Menschen, die einen engen Bezug zu Biesdorf und zu seinem Schloss haben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein sehr ausführlicher Artikel über Gentzrode, der erstmals 1875 in der 3. Auflage von Band I der „Wanderungen“ als Buchkapitel erschien und für die 5. Auflage (1892) überarbeitet wurde. Gentzrode, ein kleiner Ort nördlich von Neuruppin, war von 1855 bis 1881 Eigentum und Wohnsitz der Familie Gentz. Fontane faszinierte, wie Johann Christian Gentz und sein Sohn Alexander auf einer mit Heidekraut bewachsenen Sanddüne einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb geschaffen hatten. Er berichtet, dass Alexander Gentz angesichts der wirtschaftlichen Erfolge 1875 den Bau eines Schlosses plante. Da ihm der Entwurf der Architekten Kyllmann und Heyden jedoch missfiel, wandte er sich – so Fontane – an Gropius und Schmieden. Heino Schmieden (1835 – 1913) ist bekanntlich der Architekt von Schloss Biesdorf und er hat auf diese Weise Eingang  in Fontanes „Wanderungen“ gefunden. Das Herrenhaus in Gentzrode wurde im neomaurischen Stil errichtet, ist im Unterschied zu unserem Biesdorfer Kleinod aber leider dem Verfall preisgegeben.

In einem gesonderten Aufsatz im Band I der „Wanderungen“ beschreibt Fontane sehr ausführlich das Leben des Malers Wilhelm Gentz, des Bruders von Alexander Gentz. Mit Blick auf Schloss Biesdorf sind dabei zwei Dinge erwähnenswert. Zum einen zählt Fontane die Hauptarbeiten des Malers auf und erwähnt dabei (Wanderungen I, S. 163), dass das 1868 geschaffene Bild „Ein Märchenerzähler bei Kairo“ im Besitz von Werner von Siemens ist, der 1887 Herr von Gut und Schloss Biesdorf wurde. Und an anderer Stelle (Wanderungen I, S. 161) berichtet Fontane, dass auch Ismael Gentz, der Sohn von Wilhelm Gentz, eine hervorragende künstlerische Begabung hatte und unter anderem bekannte Berliner Persönlichkeiten porträtiert hat, so auch unseren Werner von Siemens.

Über eine weitere Biesdorfer Persönlichkeit berichtet Fontane in seinem Aufsatz „Malchow. Eine Winterwanderung“, der erstmals 1882 als Buchkapitel im Band IV der „Wanderungen“ erschien. Er wollte in der Gruft der Malchower Kirche das Grab des brandenburgisch-preußischen Staatsmannes Paul von Fuchs (1640 – 1704) besichtigen. Fontane wandte sich hilfesuchend an den Malchower Pfarrer Adalbert Hosemann, der ihm zwar das Grab nicht zeigen konnte (die Gruft war inzwischen verschüttet), aber Einblick in das Kirchenbuch und das Taufregister gewährte. Hosemann (1840 – 1906) wurde 1885 als Pfarrer und Superintendent des Kirchenkreises Berlin Land I nach Biesdorf versetzt und wirkte hier bis zu seinem Tode.

Viertens: Erwähnung findet Biesdorf schließlich auch in den im Band VII veröffentlichten Texten aus dem Nachlass. Im Jahre1882 griff Theodor Fontane nämlich seine Idee aus den 1850er Jahren wieder auf, ein mehrbändiges Werk „Geschichte und Geschichten aus Mark Brandenburg“ zu schreiben. Die Vorarbeiten hierzu sind im Fontane-Archiv in Potsdam aufbewahrt und  wurden erstmals in diesem Band VII der Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe zusammenhängend veröffentlicht. Hier finden sich verschiedene Stoffdispositionen zu dem geplanten Werk. Unter der Überschrift „Märkische Dörfer. Kirchen- und Kirchhofsdenkmäler in und um Berlin“ listet Fontane zunächst 20 und später in erweiterter Form 68 ihn interessierende Orte aus dem Kreis Niederbarnim auf. In beiden Aufzählungen findet sich Biesdorf (Wanderungen VII, S. 58f.).

Der historische Kreis Niederbarnim ist hier mittelgrau wiedergegeben. Zu ihm gehörten Oranienburg, Hohen Schönhausen, Bernau sowie Erkner. Das kleine historische Berlin hatte 1890 1.579.530 Einwohner, der Kreis Niederbarnim, der sich zu einem bedeutenden Industriestandort entwickelte, 1890 188.297 Einwohner; aber 1910 bereits 445.265. Parallel zu Fontanes Romancierzeiten war Georg Scharnweber, Besitzer des Rittergutes Hohen Schönhausen, alleiniger Landrat von Niederbarnim zwischen 1843 und 1892.

Geht man der Frage nach, ob und in welcher Weise diese Barnimschen Orte an anderer Stelle Eingang in die „Wanderungen“ gefunden haben, kommt man auf drei Gruppen:

1) 30 Orte finden sich nur in der erwähnten (erweiterten) Liste.

2) 29 weitere Orte werden in einem oder mehreren Aufsätzen der „Wanderungen“ erwähnt. Zu ihnen gehört auch Biesdorf (siehe den unter Zweitens zitierten Aufsatz über Friedrichsfelde). Oft sind es nur Hinweise, im Besitz welcher Adelsgeschlechter sich einzelne Dörfer in ihrer Geschichte befanden. Oder die Orte werden genannt, weil sie eine Zwischenstation auf Fontanes Reisen waren.

Mehrfach Erwähnung finden Altlandsberg, Niederschönhausen (einen eigenständigen Aufsatz über das Schloss gibt es interessanter Weise in den „Wanderungen“ nicht) und Rüdersdorf (obwohl sich Fontane hier längere Zeit aufhielt, hat er dem Ort keinen eigenen Aufsatz gewidmet).

3) Zu neun Orten aus der oben erwähnten Liste finden sich in den „Wanderungen“ spezielle Aufsätze: Das sind Blumberg, Falkenberg, Friedrichshagen, Malchow und Rahnsdorf (alle im Band IV) sowie Tegel im Band III. (Außerdem sind im Band VI aus dem Nachlass Entwürfe zu Blankenfelde, Tasdorf und Zepernick veröffentlicht.)

Was hat Fontane gereizt, ausführlicher über diese Orte zu berichten?

Blumberg: In der dortigen Kirche (sie ist in den Sommermonaten am Sonntagnachmittag für Besucher geöffnet) interessierte sich Fontane vor allem für das Denkmal des Obersten Philipp Ludwig von Canstein (1669 – 1708), das Bildnis des Diplomaten und Poeten Friedrich Rudolf Ludwig Freiherr von Canitz (1654 – 1699) und die Portraitgemälde von Johann von Löben (1561 – 1636) und seiner Frau, dessen Nachfahren bis 1699 Herren von Blumberg waren.

Falkenberg: In der Falkenberger Kirche (1945 von der Waffen-SS gesprengt) besuchte Fontane das Grab der Eltern von Wilhelm und Alexander von Humboldt.

Friedrichshagen: Fontanes Interesse galt weniger dem Ort als der Müggelbude, einem Fähr- und Gasthaus auf dem gegenüber liegenden Ufer am Müggelsee. (An dieser Stelle wurde 1872 die Gaststätte „Müggelschlößchen“ errichtet, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde).

Das Müggelschlösschen auf der Köpenicker Seite der Spree

Rahnsdorf: Auch hier hat Fontane nicht den Ort im Blick, sondern das Schicksal des Fähnrichs Alexander Anderssen, der in seiner Kindheit Sommergast in Rahnsdorf war und 1870 im Deutsch-Französischen Krieg erschossen wurde.

Malchow: Hier wollte Fontane – wie oben erwähnt – das Grab von Paul von Fuchs besichtigen.

Tegel: Fontane wanderte 1860 zum Schloss Tegel, das seit 1766 im Besitz der Familie von Humboldt ist und in dem die Brüder Humboldt ihre Kindheit verbrachten. Wilhelm von Humboldt ließ in den Jahren 1820 bis 1824 das Schloss durch Karl Friedrich Schinkel umgestalten und bewohnte es bis zu seinem Tode (1835). Fontane beschreibt detailliert die Räume des Schlosses und die dort befindlichen Kunstschätze und Sehenswürdigkeiten aller Art sowie die Familiengrabstätte im Schlosspark.

Man muss neidlos anerkennen, dass Biesdorf zu Fontanes Zeiten solche Sehenswürdigkeiten nicht zu bieten hatte. Zwar waren die Adelsgeschlechter von der Gröben und von Pfuel im Mittelalter Grundherren von Biesdorf, aber ihren Stammsitz hatten sie in anderen Orten. Und die ersten Herren des 1868 erbauten Schlosses Biesdorf, Baron von Rüxleben und Baron von Bültzingslöwen, gehörten nicht zu den märkischen Adelsfamilien.

Fünftens: Beim Durchstöbern der „Wanderungen“ stößt man auf Textpassagen, die zwar keinen namentlichen Bezug zu Biesdorf haben, aber dennoch auch für unseren Ort zutreffen.

Im Vorwort zu seinen „Fünf Schlössern“ schreibt Fontane: „Fünf Schlösser! Fünf Herrensitze wäre vielleicht die richtige Bezeichnung gewesen, aber unsere Mark, die von jeher wenig wirkliche Schlösser besaß, hat auf diesem wie auf jedem Gebiet immer den Mut der ausgleichenden höheren Titulatur gehabt, …“ (Wanderungen V, S. 7). Auch unsere spätklassizistische Villa wurde als Gutshaus errichtet und erst umgangssprachlich zu einem „Schloss“ befördert.

Und in dem schon erwähnten Aufsatz über Friedrichsfelde bemerkt Fontane: „Die Fahrt nach Friedrichsfelde, wenn man zu den „Westendlern“ gehört, erfordert freilich einen Entschluss. Es ist eine Reise, und durch die ganze Steinmasse des alten und neuen Berlins hin sich mutig durchzuschlagen, um dann schließlich in einem fuchsroten Omnibus mit Hauderer-Traditionen die Fahrt zu Ende zu führen, ist nicht jedermanns Sache.“ (Wanderungen IV, S. 132). Auch wir machen bisweilen die Erfahrung, dass die zeitaufwändige Anreise aus den westlichen Stadtbezirken Menschen davon abhält, das Schloss Biesdorf zu besuchen.

Bei seinem Besuch beim Malchower Pfarrer Hosemann hat Fontane – wie erwähnt – intensiv  Kirchenbuch und Taufregister durchforscht, um danach festzustellen, dass er „Malchow in seinem damaligen Besitz- und Personalbestande so genau (kannte), wie wenn ich ein Katasterbeamter unter König Friedrich I. oder wohl gar der Dorfschulmeister … gewesen wäre.“ (Wanderungen IV; S. 236). Welche Rolle Dorfschullehrer als Chronisten spielten, lässt sich auch an dem Biesdorfer Lehrer Johannes Lehmann (1886 – 1945) belegen, dem wir viel Wissenswertes aus seinen Aufzeichnungen über „Rittergut und Schloss Biesdorf“ aus dem Jahre 1914 verdanken. Sie wurden 2013 von unserem Verein in Form eines von Dr. Oleg Peters und Waldemar Seifert gestalteten Büchleins neu herausgebracht. Fontane hätte seine Freude daran gehabt.

Prof. Gernot Zellmer


(Der Beitrag ist die Zusammenfassung von Teilen des Vortrags, den Prof. Gernot Zellmer am 20.11.2019 im Schloss Biesdorf zum Thema „Theodor Fontane zum 200. Geburtstag – auch wenn Biesdorf in seinen Wanderungen nicht vorkommt“ hielt.)

150 Jahre Schloss und Park Biesdorf – ein großes Ereignis eingebettet in das Biesdorfer Blütenfest

 

Der 150. Schloss-Geburtstag innerhalb des Biesdorfer Blütenfestes erschien dem fremden wie dem kennenden Beobachter als zweite Neueröffnung – es dominierten Freude, Vorfreude und Zukunftsgewissheit.  Viele Erinnerungen bewegten die Gäste. Im Zentrum stand natürlich der Architekt Heino Schmieden, dessen Name fortan der große Saal des Hauses trägt. Doch niemand sprach den Namen mit den drei großen Buchstaben aus, dessen Geist 17 Monate das Schloss beherrscht hatte.

 

Hervorragend besuchte Vernissagen

Bereits am 10. Mai war die neue Ausstellung „Ankommen“ der nunmehrigen Galerieleiterin Karin Scheel eröffnet worden. Alle 21 Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung haben oder hatten eine Zeitlang ihren Arbeitsort in Marzahn-Hellersdorf. Einige Werke thematisierten die Spuren dieses Ortes, des Ateliers – andere befragten die künstlerische Arbeit an sich.

ankommen

 

Parallel dazu läuft eine Exposition aus dem Kunstarchiv Beeskow, die von dessen Leiterin Florentine Nadolni präsentiert wurde. Es handelt sich um eine 20blättrige Grafikmappe von Dieter Tucholke, der das erneuerte Preußen-Bild der DDR seit Anfang der 1980er Jahre kritisch kommentiert hatte.

Eines der „Negativbilder“ von Dieter Tucholke

 

Es waren gelungene Vernissagen der beiden neuen Schauen. 5900 Besucherinnen und Besucher sahen sie an diesem Wochenende.

 

Faktenreiche Festrede und geschätzte Erinnerungen

Wie schon einmal grüßte Senator Andreas Geisel zum 150jährigen Schlossjubiläum einen Tag später, am 11. Mai, für das Land Berlin. Geisel nannte das Schloss und den Park Heimat seiner Jugend. Viele Erinnerungen aus den Ferienspielen seien ihm bis heute bestens präsent.

Am Beginn ihrer faktenreichen Festrede vor mehr als einhundert geladenen Gästen machte Bürgermeisterin Dagmar Pohle dann Werbung für eine Neuerscheinung, die der Bezirk im III. Quartal dieses Jahres herausgeben wird: „Gut – Schloss – Park. Berlin-Biesdorf. Vom Rittergut zum Kultur- und Wohnstandort“.

 

Sie kündigte neue Erkenntnisse an, die Dr. Oleg Peters durch umfangreiche Archivrecherchen gewonnen habe und die er in drei Beiträgen nachzeichnen werde. So sei der spätere Berliner Tiergartendirektor Eduard Neide als Schöpfer des ersten, vier Hektar großen, Schlossparks identifiziert worden. Heino Schmieden und Neide kannten sich bereits von gemeinsamen Projekten in (Berlin-)Westend. Schmieden wird dem Bauherrn zu Neide geraten haben. Wer nun der Bauherr war – von Rüxleben oder die Familie Griebenow  – darüber gibt es leider keine gesicherten Fakten. Wenn auch nahezu alles für Griebenow spricht – es gibt überhaupt keinen Anlass gibt, in diese Richtung zu spekulieren.

Frau Pohle erinnerte daran, dass im Schlossturm die Jahreszahl 1869 entziffert worden war. Was hat diese zu bedeuten? Später nahm Landeskonservator Jörg Haspel den Ball auf und stellte augenzwinkernd die Frage, ob wir im Jahr 2019 den 150. Geburtstag des Schlossturmes erneut feiern könnten…

Die Bürgermeisterin sprach von der Episode Günther von Bültzingslöwen und natürlich ausführlich von der Siemens-Familie; sodann von der 90 Jahre langen städtischen Verwaltung durch die Bezirke Lichtenberg, Marzahn sowie Marzahn-Hellersdorf. Dagmar Pohle skizzierte die vielfältigen Bemühungen in der DDR-Zeit und würdigte abschließend die bleibenden Leistungen des Sozialen Stadtteilzentrums Biesdorf bis zum Wiederaufbau ab 2013 durch das Kollektiv unter Leitung von Prof. Mara Pinardi. Natürlich nannte sie den Namen Dr. Günter Peters und den unseres Vereins.

Dr. Oleg Peters und der Schauspieler Peter Bause erzählten in ihrer folgenden Performance das Leben Heino Schmiedens. Es war viel Arbeit, das Überwinden von Rückschlägen und stete Motivierung – das konnte man dem von Peter Bause vorgetragenen Lebenslauf des Architekten zweifelsfrei entnehmen.

Audiomitschnitt, Ausschnitt

 

Dr. Oleg Peters und Peter Bause

 

Es folgten beglückte Erinnerungen. Professor Jörg Haspel, der Landeskonservator, zitierte das Wort vom „Glienicke des Ostens“ – dieser Vergleich mit Schloss Biesdorf sei von Anfang an ein erfolgreicher Kniff gewesen, um Verantwortliche im Berliner Senat positiv auf das Projekt einzustimmen. Klaus Henning von Krosigk bemerkte später: Ohne die frühzeitige  Sanierung des Schlossparks in den 1990er Jahren wäre die Schlosswiederherstellung schwieriger geworden. Haspel entließ Senator Geisel mit den Worten: „Kümmern Sie sich bitte ab sofort um das Lichtenberger Hubertusbad!“ Der Vizepräsident der Architektenkammer Berlin Daniel Sprenger erinnerte an das große bürgerschaftliche Engagement des Architekten Heino Schmieden, der Mitglied in einer Reihe wichtiger städtischer und staatlicher Gremien war. Bei seiner Bescheidenheit wäre es Schmieden sicher recht gewesen, so Sprenger, dass nun „nur“ ein Saal seinen Namen trägt. Der langjährige Direktor des Martin-Gropius-Baus Prof. Gereon Sievernich übersandte ein Grußwort, das Dr. Niemann vortrug.

Abschließend ergriff der Vorstandsvorsitzende unseres Vereins Dr. Heinrich Niemann das Wort. Als Richtschnur der künftigen Arbeit stehe der seit Beginn dieses Jahres definierte Dreiklang von Schloss Biesdorf als Ort der Kunst, der Geschichte und der Begegnung. Einen attraktiven Ort der Kunst zu schaffen bleibe trotz der großartigen Vernissagen von gestern eine große Herausforderung. Dazu sollten Wegbegleiter und Partner ernsthaft einbezogen werden. Denn es gelte, DDR-Kunst mit zeitgenössischer Kunst zu koppeln und dem großen Berliner Maler und Ehrenbürger Otto Nagel in geeigneter Weise eine Heimstatt zu geben. Auch weitere lokalgeschichtliche Forschungen mit Historikern sollen angeregt werden.

Dr. Heinrich Niemann konnte neben dem allzeit präsenten Urenkel von Heino Schmieden, Prof. Dr. Ernst Kraas und Frau, erstmals die Urenkelin des ersten Schlossbesitzers Hans Hermann von Rüxleben, Frau Anja von Rüxleben-Drechsler aus München, und  eine weitere Nachkommin einer Seitenlinie – Frau Thum von Heyl mit ihren Partnern – begrüßen; den Kontakt hatte Heimatforscher Karl-Heinz Gärtner vermittelt.

Anja von Rüxleben-Drechsler

 

Abschließend übergab Dr. Niemann der Bezirksbürgermeisterin mit dem Glückwunschschreiben ein Paket mit allen vom Verein bisher herausgegebenen Publikationen zum Schloss Biesdorf und eine Mappe mit weiteren Zeugnissen für den Wiederaufbau des Schlosses einschließlich des Kalenders.

 

Heino-Schmieden-Saal

Alsdann folgte schließlich die feierliche Enthüllung des Schildes „Heino-Schmieden-Saal“.

 

Sehr offene Fragen

Inzwischen sind vier Wochen verstrichen. Seit einem sehr offenen, problemorientierten Gespräch mit der Kulturstadträtin Juliane Witt Anfang Januar sind nun fast sechs Monate ins Land gegangen. Unser Verein hatte unmittelbar nach dem Abspringen des ZKR dem Bezirksamt als neuem Betreiber operative Hilfe angeboten, auch eine Kooperationsvereinbarung schriftlich vor Monaten hinterlegt, die bisher ununterzeichnet blieb. Nun wollen wir in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu unserer Mitgliederversammlung offene Fragen thematisieren, die keinen Aufschub dulden.

Wir halten eine öffentliche Auseinandersetzung über die kargen 17 Monate der Erstbetreiberin ZKR für notwendig: immerhin hat der Galeriebeirat Schloss Biesdorf trotz der permanenten öffentlichen Kritik vor allem innerhalb des Bezirks nichts von sich hören lassen. Kulturstadträtin Juliane Witt hatte im Juli 2013 über diesen erklärt: „Der Kreis von Kunstwissenschaftlern und Experten im Galeriebeirat wird sich der Umsetzung der Kooperationsvereinbarung mit dem Archiv Beeskow, der Umsetzung der kulturwissenschaftlichen Ziele und der Einbindung in die kulturtouristischen Gesamtkonzepte der Hauptstadt widmen. Zu den vertretenen Institutionen gehören die Senatskanzlei, die Berlin Tourismus Marketing GmbH, die Berlinische Galerie, das Kunstarchiv Beeskow und die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur…“ Der Beirat verwies auf einige wenige Kritiken in der Fachpresse, die das Profil der Expositionen gutgeheißen hatten. Im Gremium war nach  eigener Aussage Frau Scheel verantwortlich tätig. Es geht uns nicht um eine Kritik der Kritik willen: wir widersprechen einem „Weiter so“. Nicht nur wir sind der Meinung, dass es begrüßenswert ist, wenn es ein mit den notwendigen Partnern abgestimmtes Verfahren zur Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes für den Betrieb des Schlosses geben würde. Das erleichtert dann zu gegebener Zeit auch den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen. Nun ist bereits eine nächste Ausstellung ab Ende Juni mit dem Titel „examining the edge – peripheries in the mind and the city“ angekündigt. Der Titel ist nur mit dem Wörterbuch verständlich, die Problematik eher ausgefallen. Aber: Schloss Biesdorf ist die kommunale Galerie des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf, der kulturelle Leuchtturm, wie die Kulturstadträtin stets betont.

Vor einem knappen Jahr gedachten im Schloss Biesdorf mehr als 100 Menschen des 50. Todestages Otto Nagels. Wir hatten diese Veranstaltung die Rückkehr Otto Nagels in den öffentlichen Raum seiner Heimatstadt Berlin genannt. Kulturstadträtin Witt hatte als Leihgabe Nagels „Wochenmarkt am Wedding“ enthüllt. Weitere Schritte der „Rückkehr“ sollten folgen. Passiert ist bisher nichts. Vertreter unseres Vorstandes trafen sich Ende Mai mit dem Direktor des Archivs der Berliner Akademie der Künste, Herrn Dr. Werner Heegewaldt, und der Leiterin der Kunstsammlung, Frau Dr. Rosa von der Schulenburg. In einem hochinformativen Gespräch zeigten sie uns Linien zur Einrichtung eines nachhaltigen Erinnerungsortes für den großen realistischen Berliner Maler auf. Wir sind bereit, unser Wissen in ein solches Projekt einzubringen.

Nun noch eine merkwürdige Frage: Im Herbst 2016 baten wir das ZKR um einen Raum im wiedererbauten Schloss Biesdorf, um insbesondere die Akten unseres Vereins, die die Anstrengungen zum Wiederaufbau seit 2001 dokumentieren, aufzubewahren. Die Bitte wurde abgelehnt. Wir wiederholten unsere Frage nun an das Bezirksamt – bisher ohne Antwort. Unsere beiden Aktenschränke benötigen zwei Quadratmeter Fläche. Die Bruttogrundrissfläche des Schlosses beträgt 3.313 qm.

 

(Axel Matthies)

Schloss Biesdorf im 150. Jahr seines Bestehens. Bilanz und Perspektiven aus bürgerschaftlicher Sicht

 Vortrag von Dr. Heinrich Niemann in der gemeinsamen Reihe mit der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf am 11.1.2018

 

Am Beginn des Jahres 2018, in dem das Schloss Biesdorf 150 Jahre alt wird, möchte ich mit meinem Vortrag versuchen, die geschichtliche Bedeutung dieses Denkmalensembles am östlichen Stadtrand  von Berlin herauszuarbeiten oder anders gesagt, der Frage nachgehen, welche guten Gründe gibt es wirklich, diesen Ort auch als interessanten Ort der Geschichte zu besuchen? Was daraus ist wichtig und interessant und verdient wirklich die Beachtung, die wir gerne uns wünschten.

Nach seinem vollendeten Wiederaufbau vor eineinhalb Jahren soll das Schloss Biesdorf ein auch touristisch attraktiver neuer Ort der Kunst mit der Einrichtung einer Galerie werden – so will es nicht nur der Förderbescheid  der Geldgeber für den so erfreulichen Wiederaufbau. Das ist auch eine richtige und angemessene Aufgabe.

Ein Ort der Geschichte ist es zweifellos.

Und ein Ort der Begegnung möglichst vieler Menschen soll es (wieder) werden. Das meint unser Verein jedenfalls auch mit seiner diesjährigen Karte zum Neuen Jahr.

Karte2018c (640x308)

 

Eigentums- und Nutzungsverhältnisse

Zwei geschichtliche Besonderheiten gibt es schon auf den ersten Blick:

Es sind die vielschichtigen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse in diesen 150 Jahren.

Mehr als 50 Jahre privater (Wohn)Nutzung im Besitz von drei Familien (von Rüxleben, von Bültzingslöwen, Werner und Wilhelm von Siemens) folgen nach einer Zwischenzeit seit 1927 bislang über 90 Jahre öffentliches Eigentum und öffentliche Nutzung im Besitz der Stadt Berlin, des jeweiligen Stadtbezirks (Lichtenberg, dann Marzahn, seit 2001 Marzahn-Hellersdorf).

Das Rittergut Biesdorf  war offenbar Anfang des 19. Jhd. kein besonders ertragreicher Ort. Sechs Mal wechselten allein in den dreißig Jahren von 1823 bis 1853 die Besitzer, ehe dann die Familie von Rüxleben das Rittergut für 31 Jahre übernahm.

Gutshof Biesdorf Ende 19. Jh.

 

Die weiteren Daten sind bekannt:

1862 wird das Rittergut vom Vater Bruno Freiherr von Rüxleben  vererbt an Sohn Hans Herrmann, der im Mai 1868 zur Hochzeit mit Anna Pauline Griebenow die neuerbaute Turmvilla „Schloss“ Biesdorf erhält, die noch 16 Jahre in deren Besitz blieb.

Dem Verkauf 1884 an Baron Günther von Bültzingslöwen folgte schon 1887 der Erwerb durch Werner von Siemens.

1889 übergibt dieser an seinen zweitgeborenen Sohn Wilhelm von Siemens. So waren das Schloss und das Rittergut bis zum Verkauf 1927 formal 40 Jahre im Siemensbesitz. Wenn man den Tod Wilhelm von Siemens als faktisches Ende einer Nutzung durch die Familie betrachtet, waren es immerhin noch etwa 32 Jahre.

Wilhelm Elly Terrasse 1900er

 

Nachdem zum Ende des 1. Weltkrieges schon Einquartierungen erfolgten, das Schloss vom Preußischen Staat gepachtet wurde, erfolgte nach längeren Verhandlungen 1927 der Kauf durch die Stadt Berlin.

Die seitdem vergangenen 90 Jahre öffentlicher Nutzung teilen sich auf in wenige Jahre der Weimarer Republik, die 12 Jahre der NS-Zeit mit dem Ergebnis der Brandzerstörung des Schlosses im April 1945. Nach einer Zwischenzeit als Friedhof der Sowjetarmee folgten etwa 35 Jahre in der DDR und seit der Vereinigung 1990 die 23 Jahre bis zum Beginn des Wiederaufbaus im Jahre 2013.

Das als herrschaftliches Wohngebäude errichtete Schloss Biesdorf wurde also die weitaus längste Zeit für Verwaltungs- und öffentliche Zwecke genutzt.

 

Die historische Bedeutung des Ensembles von Schloss und Park Biesdorf – Eine Annäherung in 12 Punkten und einem Schlussgedanken

 

  1. Das Bauwerk und Denkmalensemble ist eines der in Berlin nicht sehr zahlreichen noch bestehenden herrschaftlichen Häuser und Anlagen.

„Es gibt in Berlin etwa zwei Dutzend Schlösser, Herrenhäuser und Palais.

Das ist nicht viel für eine Stadt, die seit dem Jahr 1701 Hauptstadt von Preußen war…Nur wenige herrschaftliche Häuser überlebten den 2. Weltkrieg….

…Schloss Biesdorf, lange Jahre Wohnsitz der Familie von Siemens, wurde aufwendig restauriert.“ heißt es in einem 2016 erschienenen Buch „Berlins Grüne Orte“

( Berlins Grüne Orte, Verlag Runze&Casper Werbeagentur GmbH, Berlin 2016. S.68 f)

Die in diesem Buch genannten Bauwerke sind: Im Zentrum Berlins das Stadtschloss, Monbijou, Schloss Charlottenburg und Park, Schloss Bellevue, Altes Palais, Ephraimpalais, Kronprinzenpalais, Prinzessinnenpalais Kommandantenhaus, Palais am Festungsgraben, Schloss Schönhausen.

Am Stadtrand: Jagdschloss Grunewald, Schloss auf der Pfaueninsel, Schloss Glienecke, Schloss Köpenick, Schloss Biesdorf

 

  1. Das von Heino Schmieden 1868 errichtete Gebäude nach italienischem Vorbild ist ein schönes und in Berlin seltenes Beispiel einer herrschaftlichen Turmvilla im spätklassizistischen Stil.

 Durch den Wiederaufbau kommt seine harmonische und klar komponierte äußere Gestalt wieder voll zur Geltung. Der aus der Bauzeit erhaltene besonders feste rosafarbene Romanzementputz ist von besonderem Denkmalwert. Es ist am herausgehobenen Standort am südlichen Rande der Barnimhochfläche weit sichtbar gelegen und dominiert das historische Biesdorf mit seiner Dorfkirche.

Im östlichen Raum Berlins sind vergleichbare Gebäude selten.

Das jetzige Gebäude entspricht dem Stand um 1900 nach den baulichen Änderungen durch Wilhelm von Siemens (Architekt Th. Astfalck).

Balkon an der Südfront 1907

 

Das Ensemble steht seit 1979 unter Denkmalschutz.

 

  1. Der Architekt des Schlosses Biesdorf Johann Heino Schmieden (1835-1913) gehört zu den bedeutendsten und produktivsten Berliner Architekten von internationalem Rang in der 2. Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er wurde mit dem Wiederaufbau des Schlosses Biesdorf für Berlin wiederentdeckt.

 In der Sozietät mit dem älteren Martin Gropius (1813 -1880) von 1866 bis 1880 wurden bedeutende Bauten realisiert. Nach Gropius frühem Tod setzte Schmieden mit anderen Partnern dieses Werk fort. Das Kunstgewerbemuseum – der heutige Martin-Gropius-Bau-, das alte Gewandhaus in Leipzig, das Krankenhaus Friedrichshain sind nur wenige markante Bauwerke. Mit Krankenhausbauten wurde Schmieden international bekannt.

Schloss Biesdorf ist das älteste Bauwerk von Schmieden im heutigen Berlin.

Schmieden war leitend tätig in Architektenvereinigungen, Mitglied der Preußischen Bauakademie und Akademie der Künste, Mitbegründer der URANIA, an der Seite Virchows maßgeblich  an der Tuberkulosebekämpfung beteiligt.

Durch den Verein „Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf“ und BALL e.V. sowie die wissenschaftliche Arbeit und das Buch von Dr. Oleg Peters „Heino Schmieden, Leben und Werk des Architekten und Baumeisters 1836- 1913“ wurde diese Persönlichkeit gleichsam wiederentdeckt.

Mit den Nachkommen von Heino Schmieden (seine Urenkel) besteht eine – so selten mögliche – lebendige Verbindung zu Biesdorf und unseren Verein. Das Porträt Schmiedens ist ein Geschenk der Familie und ist als Leihgabe im Schloss zu sehen.

P1040696

 

Im Mai 2018 wird der große Saal zur Würdigung des Architekten als Heino-Schmieden-Saal benannt. Diese Ehrung bedeutet für die bauhistorische Berliner Fachwelt auch einen gewissen Akt historischer Gerechtigkeit in Bezug auf den Martin-Gropius-Bau, der nicht nur von Schmieden mit entworfen, sondern von ihm nach Gropius Tod zu Ende geführt wurde.

 

  1. Der von Albert Brodersen in den 90er Jahren des 19. Jhd. gestaltete, auf 14 ha erweiterte Schlosspark folgt dem Lennéschen Modell eines klassischen Landschaftsparks in seltener stilistischer Reinheit.

 Die seit Ende der 1920er Jahre begonnenen und seit den 1950er Jahren hinzugekommenen Elemente und Einbauten im Sinne eines öffentlichen Volksparks wurden seit 1984 mit der Rückbesinnung auf die Brodersensche Planung teilweise rückgebaut bzw. fügen sich wie die Parkbühne sinnvoll und zweckmäßig ein.

 

  1. Albert Brodersen (1857 – 1930 ) war von 1910 bis 1925 der dritte Gartenbaudirektor Berlins und hat in einer Zeit des Übergangs zur reformorientierter Gartenarchitektur die Entwicklung des öffentlichen, für die Bürger zugänglichen Grüns maßgeblich gefördert.

 Die Neugestaltung des Botanischen Gartens, Viktoriapark, Kleistpark, Märchenbrunnen, Volkspark Rehberge, Park an der Liebermannvilla sind Beispiele. Mit der Benennung der Lindenallee im Schlosspark Biesdorf auf Initiative des Vereins in Albert-Brodersen-Allee im Jahre 2007 erhielt er eine angemessene Ehrung.

Parasol

 „Die Zeit … ist reif, sich mit seinem Lebenswerk auseinanderzusetzen, es vertieft zu ergründen, was an Erbe noch da ist, …wie in Biesdorf – durch gezielte Inwertsetzung zu erhalten und neuerlich zu beleben.“

Dr. Klaus Henning von Krosigk,  2007

 

  1. Die privaten Besitzer und Bewohner des Schlosses Biesdorf sind repräsentative Beispiele für die Beziehungen und Verflechtungen und des Wirkens adliger Familien und des Bürgertums in Preußen und Berlin des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

 Hans Hermann von Rüxleben  (1841 – 1895) war nicht nur Rittergutsbesitzer. Er wurde 1872 in den Kreistag Niederbarnim gewählt und war Amtsvorsteher des Amtsbezirks Biesdorf von 1874 bis 1884. Bemerkenswert ist die Rolle des Vaters der Anna Pauline Griebenow, die mit Rüxleben verheiratet wurde.

Christian Wilhelm Griebenow (1784 -1865), aus dessen Vermögen seine Witwe die Finanzierung des Schlosses gespeist hat, hatte sich in den Befreiungskriegen 1812/13 (Ehrenbürger Kolbergs) und bei der urbanen Entwicklung Berlins als Grundstückshändler einen Namen gemacht. Noch heute ist eine Straße im Bezirk Berlin-Mitte nach ihm benannt.

Günther von Bültzingslöwen (1839 – 1889) war nicht nur als Kaufmann (Kaffee, Zuckerrohr) auf Java tätig. Er war dort Konsul des Norddeutschen Bundes bzw. des Deutschen Reiches.

Im  Krieg 1870/71 fällt sein jüngster Bruder. Bültzingslöwen schließt sich dem französischen Roten Kreuz an. An seine humanitäre Rolle im Dienste des holländischen Roten Kreuzes während des 2. Atjehkrieges – ein Kolonialkrieg – zur Jahreswende 1873/74 wird noch heute erinnert.

Die Künstlerin Paula Modersohn-Becker ist eine Nichte.

Ohne von Bültzinglöwen, dem der befreundete Werner Siemens ein Darlehen gewährt hatte, wäre der Erwerb des Schlosses durch Werner von Siemens nicht zu Stande gekommen.

 

  1. Siemens und Biesdorf

Neben den hier als bekannt vorauszusetzenden allgemeinen Daten über die Familie Siemens war ihr Wirken auch für die Gemeinde Biesdorf fruchtbar.

 Wilhelm von Siemens und seine Frau Elly gestalteten seit 1889 nicht nur Schloss und Park neu und brachten es auf ein zeitgemäßes technisches Niveau und bewirtschafteten das Rittergut.

Sie bewohnten viele Jahre das Anwesen und machten es zu einem Treff gesellschaftlichen Lebens (Gesellschaftsabende, Jagden).

Kostümfest 1907

 

Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Biesdorf verlief zum gegenseitigen Vorteil. Siemens förderte öffentliche und Gemeinwohlprojekte für Biesdorf.

Die drehbare Luftschiffhalle in Biesenhorst (Karlshorst/ Biesdorf, 1909) war eine technische Innovation ersten Ranges. Auch haben technische Experimente im Park und vom Schloss(turm) aus stattgefunden, wozu noch weitere Forschungen laufen.

 

  1. In der Zeit der Weimarer Republik wird das Schicksal des Schlossensembles nach dem Tod von Wilhelm von Siemens (1919) und dem nachlassenden Interesse der Siemensfamilie stark vom Interesse der Stadt Berlin am Erwerb von Bauland für die Stadterweiterung und des Parks für die Versorgung mit öffentlichem Grün bestimmt.

Diese Jahre haben dem Schloss baulich kaum gut getan. Das leider nicht bekannte Siemenssche Interieur und Inventar ist mit großer Wahrscheinlichkeit schon in diesen Jahren  verloren gegangen.

Die Umstände des Verkaufs bzw. Erwerbs des Biesdorfer Gutes sind ein auch heute noch interessantes Beispiel für den Umgang der Stadt und privaten Eigentümern bei Grundstücksgeschäften. Der Kauf von 1927 zog auch einen langwierigen Untersuchungsausschuss nach sich.

Nach Ende des 1. Weltkriegs erfolgen im Schloss Einquartierungen mit Wohnungen und der Reichswehr. Später Nutzung als Polizeidienststelle, Ortsamtsstelle, nicht realisierter Plan eines Mütter-und Säuglingsheimes.

Der Schlosspark (nach damaliger Täglicher Rundschau „verwildert“) wird ab 1928 öffentlicher Volkspark und entsprechend ausgestaltet. Er ist die erste städtische Grünanlage im Gebiet des heutigen Bezirks Marzahn-Hellersdorf.

 

  1. Die zwölf Jahre intensiver Nutzung und des Missbrauchs des Schlossensembles in der NS-Zeit und die sinnlose Brandzerstörung einen Tag vor dem Erreichen dieses Teils von Berlin durch die Rote Armee waren eine Zeit der Unkultur. Nicht wenige Menschen sind ihr gefolgt. Die Opfer und die Ursachen dürfen nicht vergessen werden.

 Im Schloss, weiterhin Polizeistelle, wurden durch die Nazis der Ortsgruppensitz, die Meldestelle für HJ und Jungmädelbund und ein Amt für Volkswohlfahrt etabliert. Der Einbau eines Luftschutzkellers und andere bauliche Änderungen folgten.

Die NSDAP machte das bekannte Ensemble zu einem intensiven und propagandistisch wirksamen Ort für Veranstaltungen und Feste.

Im Krieg diente das Schloss als Sammelstelle für den Volkssturm, immer häufiger als Ort für Nothilfe und Notunterkünfte, Winterhilfswerk, Lazarett.

Von den Luftangriffen auf Biesdorf 1943 und 1944 verschont geblieben, wurden am 26. März 1945 bei Tieffliegerangriffen der Roten Armee auch Bereiche des Schlossparks und Gutes bombardiert.

  1. April 1945 Brandzerstörung, vermutlich Brandstiftung,
  2. April 1945 Die Rote Armee erreicht Biesdorf.

 

  1. Die Einrichtung eines Friedhofs der Roten Armee 1945/46 und des dafür provisorisch hergerichteten Schlosses (Trauersaal) sowie eine Ummauerung der Hälfte des Schlossparks haben auch dazu geführt, dass der alte Baumbestand des Parks erhalten blieb und das Schlossgebäude vor weiterer Zerstörung bewahrt wurde.

Von 1945/46 bis zur Umbettung zum Parkfriedhof Marzahn – Sowjetisches Ehrenmal – im Jahre 1958 bestanden in drei Bereichen des Schlossparks 462 Gräber sowjetischer Soldaten und Zivilangehöriger.

2018 sind 60 Jahre seit der Umbettung zum Parkfriedhof Marzahn vergangen

Eine Erinnerungstafel an geeignetem Ort wäre angemessen.

 

  1. Der gemeinsame Nenner der seit 1954 in der DDR, also dreieinhalb Jahrzehnte, ununterbrochenen und teils sehr intensiven Nutzung von Schloss und Park Biesdorf für die Bürgerinnen und Bürger durch den jeweiligen Stadtbezirk ist Kultur und Bildung im weiten Sinne. Für die DDR exemplarische Strukturen wie Jugendklub oder Kreiskulturhaus sowie die Ferienspiele und Arbeitsgemeinschaften für tausende Kinder waren aufgebaut.

In diesem langen Zeitraum entwickelte sich eine enge Beziehung vieler Bürger mit ihren Familien zum Schloss und Park, oft über die Lebensalter und Generationen hinweg.

Diese Besonderheit unterscheidet Biesdorf von anderen vergleichbaren Anlagen und muss bei jeder künftigen Nutzung beachtet und produktiv gemacht werden.

Im Falle des Schlosses und Parks in Biesdorf handelte es sich im  Unterschied zu den vielen anderen 1945 im Privatbesitz befindlichen Herrenhäusern schon um städtisches Eigentum (Stadtbezirk Lichtenberg), woraus sich eine klare Zuständigkeit für die weitere Nutzung  des Parks und  des Schlossgebäudes ergab.

Diese Stichworte erinnern an die Breite dieser Nutzung:

Bildhaueratelier (1954-58, E. Kobbert und Becker), erster Dorfklub,

Jugendklub, Freilichtbühne, Ferienspiele, Rassehundeausstellungen, Tischtennisplatz, Jugendschwimmbecken, Indianerspielplatz, Sandspielplatz, Verkehrsgarten, Bibliothek, Gaststätte, Jugendtanz, Disko, Arbeitsgemeinschaften, Kreiskulturhaus, Fernsehzimmer …

Ferienspiele

Plansche Schlosspark

 

Trotz sehr knapper baulicher Ressourcen wurde das Gebäude der Zeit gemäß bescheiden und sachgerecht instand gesetzt und auch baulich funktionsfähig gehalten. Es gab 1956 (NAW – Nationales Aufbauwerk) und später Pläne des Wiederaufbaus. Die Gefahr der Übernutzung wurde erkannt und das Ensemble 1979 unter Denkmalschutz gestellt.

Mit Blick auf die seit 1990 benötigten 25 Jahre, ehe das Schloss tatsächlich wieder aufgebaut werden konnte, ist ein Respekt vor diesen Leistungen durchaus eher angebracht als ein „Naserümpfen“.

 

  1. Nach der Vereinigung 1990 kam es zeitweilig zu einer Gefährdung des Bestandes als öffentliche Einrichtung. Die Entscheidung des Bezirks Marzahn von 1994, das Schloss Biesdorf einem Freien Träger, dem BALL e.V., zu übertragen, ermöglichte bis zum Beginn des Wiederaufbaus 2013 wiederum eine fast zwei Jahrzehnte währende breite soziokulturelle  Nutzung für die Bürger. Dadurch wurde das Gebäude auch vor dem weiteren baulichen Verfall bewahrt.

Versuche, das Schloss zu veräußern und ähnliche kommerzielle Ideen konnten verhindert werden. Der Betrieb als Stadtteilzentrum erwies sich auch als eine Voraussetzung, die Restaurierung und den späteren Wiederaufbau Schritt für Schritt umzusetzen.

Ball e.V. gehörte zu den Initiatoren der Bürgerinitiative von 1998 „Biesdorf braucht sein Schloss“ und der nachfolgenden Vereinsgründung 2001.

BALL e.V. – Leistungen des Stadtteilzentrums 1994 -2013:

  • 281 klassische Konzerte,
  • 116 historische Vorträge,
  • 155 literarische Lesungen,
  • in 167 Veranstaltungen präsentierten Bürger ihr interessantes Hobby,
  • 175 Puppentheater für unsere Kleinsten,
  • 153 Ausstellungen

 

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Dazu ungezählte private Feiern.

Insgesamt nutzten mehr als 620.000 Bürger die Möglichkeiten des Hauses in Zirkeln und Kursen, ließen sich beraten oder brachten sich und ihre Ideen in die Stadtteilarbeit ein.

 

Resumee:

Der Wiederaufbau des Schlosses Biesdorf ist eine Erfolgsgeschichte von Bürgerengagement, Beharrlichkeit, politischem Willen und professioneller Ausführung.

Ohne den 2001 gegründeten Verein mit Dr. Günter Peters (1928 -2013), der die Rettung und den Wiederaufbau des Schlosses auf die politische Agenda des Bezirks Marzahn-Hellersdorf gesetzt hatte, ist das wiederaufgebaute Schloss nicht denkbar.

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Als Bauherr hat der Verein mit der Sanierung des Erdgeschosses von 2002 bis 2007 die Machbarkeit gezeigt und mit den ersten Förderanträgen ab 2006 den weiteren Weg geebnet.

Eine bürgerschaftliche Initiative „Biesdorf braucht sein Schloss“, getragen vom Heimatverein, dem MHWK, BALL e.V. und engagierten Bürgern und ein Brief der Lehrerin Monika Berndt an den Bundespräsidenten Johannes Rau waren  Wegbereiter der  Vereinsgründung

Das alte neue Schloss Biesdorf jetzt als attraktiven Ort der Kunst zu entwickeln, der auf dieser reichen Geschichte fußt und für viel Bürger wichtig war und ist, ist mindestens eine ebenso große Herausforderung, wie es das Ringen um die bauliche Rettung war.

Meine politische Erfahrung bei der baulichen Rettung des Schlosses Biesdorf:

Ohne eine förderbare Aufgabe und klare Zielstellung keine Fördermittel, ohne Fördermittel keine Sanierung und kein Wiederaufbau, ohne Wiederaufbau Gefahr des nicht mehr heilbaren baulichen Verfalls.

Anders gesagt: Wenn diese umfangreichen Baumaßnahmen nicht hätten durchgeführt werden können, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit dieses Bauwerk über kurz oder lang infolge seiner bis dahin auch verborgenen großen Schäden nicht mehr zu erhalten gewesen.

Bürgerschaftliches Engagement muss sich organisieren und mit Sachkunde agieren.

Mitwirkung und Einbeziehung der Bürger ersetzen nicht die Verantwortung des Eigentümers und der fachlich und rechtlich zuständigen Akteure des Bezirks und der Stadt (des Landes) Berlin, aber sie fordern sie heraus und unterstützen sie.

Dr. Günter Peters als Inspirator und Motor des Wiederaufbaus des Schlosses Biesdorf und Gründungsvorsitzender des Vereins „Stiftung OST-WEST-BEGEGNUNGSSTÄTTE Schloss Biesdorf e.V.“ würde am 11. August 2018 90 Jahre alt.

Wir sollten ihn angemessen würdigen.

 

Leicht bearbeitete Textfassung des mit Abbildungen ergänzten Vortrags vom 11. Januar 2018 im Schloss Biesdorf im Rahmen der gemeinsamen Vortragsreihe mit der Volkshochschule Marzahn-Hellersdorf

Werner von Siemens zum 200. Geburtstag

 

Werner von Siemens, dessen Geburtstag sich am 13. Dezember 2016 zum 200. Mal jährt, war ein großer deutscher Unternehmer in der Epoche der Reichsgründung, die in der deutschen Geschichte von großer Bedeutung ist – sie steht für maßgebende Leistungen in Technik und Wissenschaft und den Aufstieg Deutschlands zu einer europäischen Großmacht. Werner von Siemens hatte mit seiner Firma bedeutenden Anteil an der globalen Vernetzung durch Fernmeldekabel sowie die wirtschaftliche Nutzung der Elektroenergie, durch die Produktions- und Lebensweisen der Menschheit einen intensiven Schub erfuhren. Der Mantel der Geschichte wehte diesen Mann aber auch nach Biesdorf im Landkreis Niederbarnim.

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Büste im Schlosspark

 

Alles hart erarbeitet

Siemens fiel nichts in den Schoß. Sein Vater war Gutspächter in Lenthe westlich von Hannover. Zehn glückliche Kindheitsjahre verbrachte er hier im Kreise seiner wachsenden Geschwisterschar – es sollten schließlich 14 werden.

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Geburtshaus in Lenthe (Foto: Siemens)

 

Danach zog die Familie in die Umgebung von Lübeck. Wirtschaftlich blieb das Leben bescheiden. Obwohl seine schulischen Leistungen besonders in Mathematik auffielen, blieb Siemens nur ein Weg, um eine wissenschaftlich-technische Ausbildung zu erlangen: das Militär. 1835 nahm er als Offiziersanwärter sein Studium an der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule auf und erhielt dort eine umfassende naturwissenschaftliche Ausbildung. Nach dem Tod seiner Eltern, die 1839 und 1840 kurz nacheinander verstarben, musste Siemens die Vaterrolle für seine jüngeren Geschwister übernehmen.

Erste kleine Firma mit geborgtem Startkapital

Siemens war auf der Suche nach einer geeigneten Geschäftsidee, um den Militärdienst beenden zu können.  Silvester 1846, Werner war gerade 30 Jahre  alt geworden, plagten ihn Depressionen. Er konnte die Verantwortung für die Geschwister nicht einlösen. Da beschloss er, sich ein festes wirtschaftliches Fundament durch die Telegraphie zu schaffen. Der Siemens’sche Zeigertelegraf war den bisherigen Apparaten dieser Art überlegen, weil er nicht mehr ähnlich einem Uhrwerk arbeitete, sondern einen selbsttätig gesteuerten Synchronlauf zwischen Sender und Empfänger hatte – eine völlig neuartige Lösung der elektrischen  Nachrichtenübertragung. Mit dem Bau des Telegrafen beauftragte der 30-jährige Erfinder den Feinmechaniker Johann ­Georg Halske, den er aus der „Physikalischen Gesellschaft“, einer Vereinigung ambitionierter junger Wissenschaftler, kannte. Halske fertigte im Auftrag vieler renommierter Naturwissenschaftler der damaligen Zeit Versuchsanordnungen sowie Prototypen feinmechanischer, physikalischer, optischer und chemischer Erfindungen. Da die einzelnen Telegrafen in Handarbeit produziert wurden, erübrigte sich die Anschaffung größerer Maschinen. Das Startkapital in Höhe von 6.842 Talern stammte von Werners Vetter und Vater des späteren Mitbegründers der Deutschen Bank, dem Justizrat Johann Georg Siemens.

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Erster Briefkopf um 1853 (Foto: Siemens)

 

Ein Jahr später kam die Initialzündung für die Firma. 1848 erhielt das junge Unternehmen einen politisch wichtigen Auftrag: eine Telegraphenleitung von Berlin nach Frankfurt am Main herzustellen, denn dort tagte die deutsche Nationalversammlung. Ziel dieser war die Schaffung einer Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Deutschland sollte Eins sein, regiert vom Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen. Geplant war, dass der preußische König Friedrich Wilhelm IV. am Ende zum deutschen Kaiser gewählt wird. Binnen einer Stunde hatte der preußische König in Berlin alle aktuellen Ergebnisse des Parlamentes auf seinem Schreibtisch. Damit wurde die Firma Siemens & Halske auf einen Schlag bekannt und weitere Aufträge zum Bau von Telegraphenverbindungen in Preußen und anderen deutschen Staaten folgten.

Die Firma errichtete bald Telegrafenleitungen in ganz Europa. Bruder Carl baute das Geschäft in Russland aus, während unter Wilhelms Aufsicht eine Kabelfabrik in England gegründet wurde. „Siemens und seine Brüder haben immer hochriskante Geschäfte gemacht“, urteilt der Wirtschaftshistoriker Johannes Bähr. „Aber sie waren eben durch und durch Unternehmer.“ 1867 erhielt Siemens & Halske die Konzession zum Bau der indo-europäischen Telegrafenlinie, die von London bis Kalkutta reichen sollte. In drei Jahren Bauzeit wurde die Trasse errichtet, die bis in die 1930er Jahre verwendet wurde. Ein weiteres Beispiel für Siemens‘ Unternehmergeist war die Verlegung der transatlantischen Seekabel. Ein technisch höchst anspruchsvolles Unterfangen, das Siemens löste, indem er ein spezielles Kabellegerschiff bauen ließ. Die „Faraday“, die 2700 km Kabel mit einem Gewicht von 4500 t an Bord nehmen konnte, war eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Schiff wurde das erste Kabel von Irland bis Neuschottland in vier Monaten verlegt. Siemens fertigte die Kabel in eigenen Werken. Das Schiff war jahrzehntelang im Einsatz.

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Kabelleger „Faraday“ (Foto: Siemens)

 

Elektrizität revolutioniert Produktions- und Lebensweise der Menschen

In den 1860er Jahren machte Siemens schließlich die Entdeckung, die in ihrer Konsequenz zur Elektrifizierung der Welt führen sollte: das dynamoelektrische Prinzip. Siemens wusste, dass dieses Prinzip Folgen haben würde. „Die Effekte müssen bei richtiger Konstruktion kolossal sein“, schrieb er Ende 1866 an seinen Bruder Wilhelm. Und das waren sie in der Tat. Zwar wurde das dynamoelektrische Prinzip zeitgleich auch von anderen Wissenschaftlern formuliert, doch war es Siemens, der es am konsequentesten vermarkten konnte. Siemens war in der Folgezeit an der Elektrifizierung der Lokomotive, der Straßenbahn und der Straßenbeleuchtung, erste Beleuchtung in der Berliner Kaisergalerie, beteiligt und sein Unternehmen baute auch die ersten elektrischen Aufzüge.

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Erste europäische U-Bahn 1896 in Budapest, erbaut von Siemens (Foto: Siemens)

 

Liberaler Abgeordneter und humaner Unternehmer

Neben seinen technischen und unternehmerischen Tätigkeiten war Siemens auch politisch  aktiv. 1863 bis 1866 saß er für die liberale Deutsche Fortschrittspartei im Preußischen Abgeordnetenhaus. Sein Unternehmen setzte Maßstäbe bei der Humanisierung der Arbeitswelt und führte bereits 1873 einen Neun-Stunden-Arbeitstag ein. Zugleich sorgte er für eine betriebliche Kranken- und Rentenversicherung. Er war maßgeblich beteiligt an der Vereinheitlichung des Patentwesens in Deutschland und legte die Basis für die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Berlin. 1888 wurde er, und seine Familie, für seine vielfältigen Verdienste in den Erbadelsstand gehoben. Vor seinem Tod am 6. Dezember 1892 in Berlin hatte Siemens die Nachfolge in seinem Unternehmen geregelt. Sein Bruder Carl und die Söhne Arnold und Wilhelm führten es unter dem Namen Siemens weiter. Das Unternehmen – am 12. Oktober 1847 mit drei Mitarbeitern ins Leben getreten – hatte nun bereits 6 500 Arbeiter und Angestellte, die einen Jahresgewinn von 20 Millionen Reichsmark erwirtschafteten.

Zuckerrüben statt Elektrizität

Doch wie verschlug es diesen Global Player nun nach Biesdorf im Landkreis Niederbarnim? Die Welt ist ein Dorf, sagt man oft. Siemens hatte als Schüler in Lübeck Geodäsie-Unterricht genommen. Sein Lehrer hieß Ferdinand von Bültzingslöwen. Dessen Sohn Günther war mit niederländischen Kolonialtruppen nach Indonesien gegangen, hatte dort Geld verdient und musste aus Krankheitsgründen zurück nach Deutschland. Er kam nach Berlin und hörte hier vom Gut Biesdorf, das einem ihm bekannt gewesenen Freiherrn Hans-Hermann von Rüxleben gehörte. Die Güter der beiden Freiherren lagen nur einige dutzend Kilometer entfernt im nördlichen Thüringer Land. Diesem kaufte Bültzingslöwen das Gut Biesdorf ab in der Hoffnung, hier Zuckerrüben im Überfluss anbauen und verkaufen zu können. Damals bestand ein riesiger Zuckerbedarf, weil die industrielle Herstellung von Lebensmitteln begonnen hatte. Der Versuch schlug fehl; da wandte sich Bültzingslöwen in seiner Not an den ehemaligen Schüler seines Vaters – Werner Siemens. Siemens war an dem Deal nicht interessiert, aber die übergroße Dankbarkeit für seinen Lehrer gab den Ausschlag, dem Bittsteller 200.000 Reichsmark zu verleihen. Siemens ließ sich gleichzeitig ins Grundbuch eintragen für den Fall, dass Bültzingslöwen nicht reüssiert. So kam es – und neuer Besitzer von Schloss Biesdorf war im Jahre 1887 Werner Siemens. Siemens suchte zu dieser Zeit einen Alterssitz, doch Biesdorf kam für ihn und seine Frau überhaupt nicht in Frage. Er wählte Bad Harzburg.

Der Geist des Ortes

So übernahm wenig später Sohn Wilhelm Gut und Schloss. Er fühlte sich mit seiner Familie wohl, baute das Haus und den Park aus und rüstete, wie der Siemens-Biograf Johannes Bähr formulierte, das Schloss in den 1890er Jahren zu einem „High-tech-Heim“ auf. 40 Jahre, von 1887 bis 1927, war das Schloss im Besitz der Familie. Man muss die Siemens-Zeit als konstitutives Element der Schlossgeschichte betrachten. Es war die erfolgreichste Zeit für das Schloss und die Gemeinde Biesdorf in der Ära des Privatbesitzes. Die Siemens-Zeit ist aus der Schlossgeschichte nicht abzukoppeln, sie muss auf geeignete Weise in den Geist des Ortes, den genius loci, aufgenommen und bewahrt werden.

Am 8. Dezember veranstaltete unser Verein eine Vorlesung im Schloss zum Thema „Wie Werner von Siemens nach Biesdorf kam und welche Folgen das für die Gemeinde Biesdorf und die Stadt Berlin zeitigte“. Vortragender war Dr. Oleg Peters. Damit würdigten wir den 200. Geburtstag dieses bedeutenden deutschen Technikers und Unternehmers, des berühmtesten Schlossbesitzers.

Buchempfehlung

Zum 200. Geburtstag veröffentlichte der Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Johannes Bähr eine neue Werner-von-Siemens-Biografie. Er war im September 2015 in Schloss Biesdorf mit einem bemerkenswerten Vortrag über die Siemens-Familie aufgetreten.

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Die freiherrlichen Bewohner des Schlosses Biesdorf

 

Wenn Karl-Heinz-Gärtner, der Biesdorfer Ortschronist, zu einer Veranstaltung lädt, ist zweierlei klar: noch am Folgetag verdaut der Kopf die eingesogene Datenmenge, nach einer Woche beginnt er dieselben zu sortieren und zu verarbeiten. Einen solchen geistigen Vorgang wollen wir Ihnen heute darbieten.

Zum Auftakt der neuen Vortragsserie 2014/15 zum Schloss Biesdorf hatte Karl-Heinz Gärtner am 13.10.2014 die Bewohner des Schlosses seit 1868 unter die Lupe genommen und Bekanntes und neu Recherchiertes dem interessierten Publikum vorgestellt. Dabei wurde augenfällig: im Hintergrund der frühen Bewohnerschaft laufen die Geschichte Preußens und des Kaiserreiches parallel mit. Wir wollen uns in diesem Beitrag auf die Zeit von 1868 bis 1887 beschränken. Im Dezember folgt hier ein Beitrag über die gut 30 Jahre währende Besitzung der Industriellenfamilie von Siemens.

Gut und Schloss Biesdorf als freiherrlicher Besitz

Die ersten Besitzer und Bewohner des Schlosses Biesdorf stammten aus den Adelsfamilien von Rüxleben und von Bültzingslöwen. Beide waren in Thüringen ansässig; es zog sie nach Berlin: die Hauptstadt Preußens und des späteren Kaiserreiches war in den 1860er Jahren schon einmal schwer „in“. Hintergrund waren einerseits die aufholende Industrialisierung in den deutschen Ländern mit der einhergehenden Mechanisierung und Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, die die Agrikultur aktivierte; andererseits die herausragende Rolle Preußens bei der Vorbereitung der Reichsgründung durch die erfolgreichen Kriege gegen Dänemark und Österreich sowie 1870/71 gegen Frankreich. Dies hatte in Deutschland, zumal in Preußen, eine vaterländische Welle ausgelöst. „Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin“ war schon damals eine beliebte Denkart. Dass ausgerechnet zwei Adelsfamilien aus Nordthüringen die Schlossgründer sein sollten, war eher Zufall.

Die Rüxlebens stammten aus dem gleichnamigen Dorf, nördlich unterhalb der Hainleite im Landkreis Nordhausen gelegen; ein auch Mitte des 19. Jahrhunderts eher strukturschwaches Gebiet.

 

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Ehemaliges Gutshaus in Rüxleben

 

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Kirche St. Maria Virginis in Rüxleben

 

Im Jahre 1853 kaufte Hans Bruno Freiherr von Rüxleben das Gut für 45.000 Taler. Es war in den Jahren seit 1820 immer wieder schnell von Hand zu Hand gegangen. Beim Verkauf wurde kaum Profit, aber oft Verlust erzielt. Die Böden galten als devastiert, Vieh und Stallungen als verbraucht. Es wird über die Rüxlebens nichts Näheres berichtet, außer dass der Senior das Gut 1863 an seinen Sohn Hans Hermann Freiherr von Rüxleben vererbte. Dieser scheint sich weniger um die Landwirtschaft als um Bodenspekulationen in Berlin gekümmert zu haben. Immerhin lernt er dabei die junge Tochter eines der reichsten Immobilienbesitzers Berlins, Wilhelm Griebenow, kennen. Griebenow war Besitzer des Gutes Niederschönhausen, dessen Terrain die gesamte Gegend von der Zionskirche bis zum Gesundbrunnen umfasste. Griebenow machte sich verdient um die Entwicklung des später Prenzlauer Berg genannten Gebietes und förderte ab 1815 die Besiedlung des Wedding. Er selbst nannte sich „Gründer der Oranienburger Vorstadt“ und stiftete das Grundstück zum Bau der Gethsemanekirche. In der Umgebung ist seitdem die Griebenowstraße nach ihm benannt. Der alte Griebenow griff mit Vehemenz, insbesondere nach Erwerb eines Rittergutes in Groß-Leuthen, nach den Insignien des Adels, was ihm jedoch verwehrt blieb. Es gelang seiner Witwe – Griebenow starb 1865 – jedoch, alle drei Töchter mit Grafen bzw. Freiherren zu verheiraten.

An dieser Schnittstelle trafen sich der 28jährige von Rüxleben und die noch 17jährige Anna Pauline Griebenow im Jahre 1867: er ziemlich mittellos, sie reich und bürgerlich, aber ohne Titel. Er wird ihr schöne Augen gemacht, sie, ermuntert durch ihre Mutter, dem nicht übermäßig widerstanden haben. Als sie schwanger war musste das zu erwartende Kinde ehrbar gemacht werden. Die Hochzeit fand im Mai 1868 gerade noch rechtzeitig statt. Nun ward mit Töchterchen Margarethe ein Rüxleben-Zweig in Berlin kreiert.

 

Anna Pauline

Anna Pauline von Rüxleben

 

Zuvor aber hatte Witwe Griebenow das von den Rüxlebens in Auftrag gegebene Schloss Biesdorf rohbauseitig finanziert. So war wenigstens ein standesgemäßes Sommerdomizil vor den Toren Berlins zu Ende gebaut worden. Das junge Glück dauerte nicht ewig. Freiherr von Rüxleben huldigte dem Spiel und versetzte Haus und Hof. Er musste 16 Jahre später verkaufen, die Ehe wurde darauf geschieden. Immerhin hatten die Rüxlebens in Biesdorf Wertschöpfung betrieben und den Wert von Gut und Schloss erheblich nach oben getrieben. Finanziert hatte das allerdings die Schwiegermutter: neben dem Schloss kamen zum Besitz sechs Bauerngüter und vier Kossätenwirtschaften. Rüxleben hatte zudem den Eiskeller erbauen und den kleinen Schlosspark zwischen Dorfstraße und Triftsweg anlegen lassen. Zudem wies er den Bau einer soliden Brennerei auf dem Gutsgelände an und verfügte die Einzäunung des Schlosses zur Dorfstraße hin. Der Verkaufspreis lag daher im Jahre 1884 bei 1.329.000 Mark. Der Käufer hieß Baron Günther von Bültzingslöwen.

 

Exkurs Rüxleben

Der Name Rüxleben ist in Berlin nicht beachtenswert präsent. Im Jahre 2005 hat in der Kunstwelt allerdings eine Leonie von Rüxleben mit ihrem Testament auf sich aufmerksam gemacht. Sie wurde 1920 in Berlin geboren, zog nach dem Krieg nach Hamburg, wo sie als Getreidemaklerin tätig war. Nebenbei sammelte sie Grafik, ausschließlich Selbstporträts. Über viele Jahre wuchs so nach und nach eine ganz besondere Sammlung grafischer Blätter von insgesamt 1500 Werken. Frau von Rüxleben stiftete ihre Sammlung der Bremer Kunsthalle St. Annen. Dort ist aktuell die 9. Teilausstellung noch bis zum 18.1.2015 zu sehen. Es ist nicht absolut sicher, ob Leonie von Rüxleben zur „Biesdorfer“ Familie gehört, aber es liegt sehr nahe. Hier zwei Blätter aus ihrer hoch beachteten Sammlung:

Max Liebermann

Max Liebermann

Ernst-Ludwig Kirchner

Ernst-Ludwig Kirchner

 

Die Bültzingslöwen sind ein thüringisches Uradelsgeschlecht. Der Kurmainzer Amtmann Siegfried von Bültzingslöwen, der 1381 die Harburg bei Haynrode im Eichsfeld in Besitz genommen hatte, ist Stammvater aller heute lebenden von Bültzingslöwen. Die Geschichte Haynrodes ist danach eng mit dem Geschlecht derer von Bültzingslöwen verknüpft. Sie waren ab 1381 Pfandinhaber der Harburg und Haynrodes einschließlich aller Waldungen und Güter und lebten nach der Zerstörung derselben im Bauernkrieg 1525 in Haynrode. Da den Bültzingslöwen zugleich geistliche Befugnisse oblagen, und das lange Zeit vor der Reformation , waren sie ohne Zweifel auch die Kirchengründer in Haynrode. Im Zuge der Reformation wurde Haynrode unter dem Einfluss der Bültzingslöwen evangelisch. Im Bauernkrieg wurde am 15. Mai 1525 der Herrensitz derer von Bültzingslöwen, die Harburg, von aufständischen Mühlhäuser Bauern verwüstet und geplündert. Im Zuge der Napoleonischen Kriege  kam zum 1. Januar 1808 die Aufhebung der Lehnsverfassung und der Patrimonialgerichtsbarkeit in Gang. Unter der nachfolgenden preußischen Herrschaft wurde Haynrode am 15. Juni 1816 aus der Pfandschaft der Grafen von Schwarzburg–Sondershausen entlassen und dem preußischen Eichsfeldkreis Worbis eingegliedert. Die Hofherren traten ausnahmslos als hochrangige Offiziere in den Königlich Preußischen Militärdienst ein. Die Trennung von der Scholle und der Weg in die Welt hat den Bützingslöwen, im Gegensatz zu den Rüxlebens, eine völlig neue Perspektive gebahnt.

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Das Familienwappen

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Das ehemalige Schloss in Haynrode

 

Günther Karl Wilhelm von Bültzingslöwen ging als gebürtiger Haynrodaer und einer der Erstbetroffenen nach Lübeck. Er war dort als technischer Zeichenlehrer tätig. Bereits sein Sohn Ferdinand wurde Offizier im Lübecker Kontingent  des Bundesheeres und stieg bis zum Stadtkommandanten von Lübeck auf. Im deutsch-dänischen Krieg 1866 befehligte Ferdinand als Major das Lübecker Bataillon der Oldenburgisch-Hanseatischen Brigade. Ferdinand von Bültzingslöwen hatte acht Kinder, das älteste von ihnen war Günther – der spätere Besitzer von Schloss Biesdorf. Ferdinand nun, der in Lübeck als Geodät, zu deutsch Feldmesser, tätig war und dort Teile der Hansestadt neu vermaß, hatte einen Schüler im Feldmessen, der später weltberühmt werden sollte: Werner Siemens.

Günther von Bültzingslöwen war 23 Jahre jünger als Werner Siemens. Er verließ mit 16 Jahren das Lübecker Katharineum und erlernte den Kaufmannsberuf. Danach zog er als 18jähriger im Jahre 1858 nach Java, um dort sein Glück zu machen. Durch den Anbau und Handel mit Kaffee und Zuckerrohr kam er schnell zu einem ansehnlichen Vermögen. Er wurde zum Konsul des Norddeutschen Bundes und später des Deutschen Reiches ernannt.

Bültzingslöwen

Günther von Bültzingslöwen als junger Mann

 

1873 beteiligte er sich aktiv an der niederländischen Invasion gegen das Sultanat von Aceh; er diente bei den Johannitern. Geschwächt durch ein chronisches Fieber, das er sich dabei zugezogen hatte, ging er 1875 vorübergehend wieder zurück nach Deutschland und lebte bei seiner Familie, die inzwischen nach Dresden gezogen war. Von Kaiser Wilhelm wurde er in Berlin empfangen und mit dem Kronenorden 3.Klasse am schwarz-weißen Band des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Vom bayerischen König erhielt er den Orden vom Heiligen Michael 3. Klasse. 1877 wurde er zum Ehrenritter des Johanniterordens ernannt.

Im Dezember 1883 war er gezwungen, nach Europa zu seiner Mutter zu reisen, die schwer krank war – sein Vater war im Jahr zuvor verstorben. Er sollte nicht nach Asien zurückkehren, sondern pendelte zwischen Dresden, Berlin und den Niederlanden hin und her. Dabei wurde er auch auf Schloss und Gut Biesdorf aufmerksam, das er dann von Hans Hermann von Rüxleben erwarb. Bültzinglöwen, der mittlerweile nicht übermäßig solvent war, wollte in Biesdorf Kapital aus der Zuckerkrise der 1880er Jahre schlagen und konzentriert Rüben anbauen. Das Vorhaben schlug, wohl auch wegen der schwachen Böden, fehl und ruinierte Bültzingslöwen, so dass er verkaufen musste.

Nun trat ein, was wir heute das „Wunder von Biesdorf“ nennen können. Werner Siemens, der ihm und seinem Vater seit der gemeinsamen Lübecker Zeit verbunden war, gab ihm ein Darlehen und übernahm schließlich zum 1. April 1887 das Anwesen. Das freiherrliche Experiment war gescheitert, an seine Stelle traten bürgerliche Tatkraft und Strenge – ganz im Sinne der Epoche.

Günther von Bültzingslöwen starb zwei Jahre später an einem Herzschlag auf einem Berliner Bahnhof. Er wurde in der Familiengruft auf dem Alten Annenfriedhof in Dresden beigesetzt.

 

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Familiengrab in Dresden

 

Exkurs Bültzingslöwen

Durch die praktische Enteignung von 1816 lastete auf den Bültzingslöwen der Zwang, sich im bürgerlichen Leben zu bewähren. Dies war aber insofern nicht existenzgefährdend, als gerade in Preußen die Macht mit dem Adel und der Adel unter sich kooperierte. Günther von Bültzingslöwen als ältester Sohn hatte sieben Geschwister, darunter die Schwester Mathilde von Bültzingslöwen. Diese heiratete um 1870 den bürgerlichen Ingenieur Carl Woldemar Becker in Dresden. Das Paar hatte sieben Kinder, darunter die Tochter Paula. Paula war ein sehr kunstsinniges Mädchen. 1888 zog die Familie nach Bremen, da der Familienvorstand eine neue Stelle bei einer privaten Bahngesellschaft antrat. Dadurch kam Paula später mit der Kunstkolonie Worpswede in Kontakt und wurde eines ihrer künstlerischen Aushängeschilder. Ihr voller Name: Paula Modersohn-Becker. Ob Paula als Kind einmal ihren Onkel Günther in Biesdorf besucht hat, ist nicht bekannt und eher unwahrscheinlich. Für das künftige Bilderschloss wäre dieses Faktum herausragend gewesen.

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Paula Modersohn-Becker 1905

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Selbstbildnis

 

Der jüngste bekannte Spross der Bültzingslöwen heißt Hendrik und ist Schauspieler und Moderator. Er ist sich nicht zu schade, in Vorabendserien Dorfdeppen zu spielen oder in der Werbung aufzutreten. Aktuell moderiert er „Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von …“ im WDR. Auch eine Karriere… Das witzige an der Geschichte: vergleichen Sie die Porträts von Günther und Hendrik von Bültzingslöwen! Zwischen den Fotos liegen mehr als 130 Jahre.

 

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Günther                                                Hendrik

 

Hendrik von Bültzingslöwen (im Khaki-Hemd)

 

Hendrik von Bültzingslöwen ist zudem Kult-Chefredakteur von DoppelSechs tv, einem irren Must für alle Fußballfreaks!

 

(Axel Matthies)

 

 

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