„Russland ist anders. Deutschland auch.“

 

Am 23. April 2018 fand im Schloss Biesdorf die vierte Veranstaltung der von unserem Verein „Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf“ organisierten Reihe „BIESDORFER BEGEGNUNG“ statt. Sie stand diesmal unter dem Thema „Deutschland – Russland – Europa: brauchen wir einander?“. Der Vorsitzende unseres Vereins, Dr. Heinrich Niemann, konnte zu dem Podiumsgespräch Herrn Matthias Platzeck, Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums e.V., Frau Marlitt Köhnke, Vorsitzende des Marzahn-Hellersdorfer Städtepartnerschaftsvereins sowie Herrn Ralf Protz, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Großsiedlungen e.V. begrüßen.

Großes Publikumsinteresse

Das Interesse an dieser Veranstaltung war sehr groß. Über 250 Interessierte hatten sich angemeldet. 120 fanden in dem – dank der Initiative der Hausherrin, Frau Scheel – spontan erweiterten Vortragssaal schließlich Platz.

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In seiner Begrüßung verwies Dr. Niemann darauf, dass in der 150-jährigen Geschichte unseres Schlosses auch die deutsch-russischen Beziehungen eine Rolle spielten. Das galt zum einen für die Geschäftsbeziehungen der Industriellen-Familie Siemens, in deren Besitz sich das Schloss über 30 Jahre befand, nach Russland. Zum anderen wurden das in den letzten Kriegstagen von den Nazis zerstörte Schloss von der Sowjetischen Militäradministration als Trauerhalle und Teile des Parks als Friedhof genutzt. Das hat auch dazu geführt, dass der Baumbestand des von Albert Brodersen angelegten wunderschönen Landschaftsparks in den Wirren der Nachkriegszeit erhalten geblieben ist.

Zu Beginn seines Einführungsvortrages wies Herr Platzeck darauf hin, dass Deutsche und Russen eine sehr lange Geschichte verbindet, dass es aber nicht immer leicht ist, Russland zu verstehen. In diesem Zusammenhang zitierte er einen Kenner der deutsch-russischen Beziehungen: „Russland ist anders. Deutschland auch.“

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Matthias Platzeck

 

Das Deutsch-Russische Forum

Dann informierte Herr Platzeck über die Ziele und Aufgaben des Deutsch-Russischen Forums. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder des Vereins (unterstützt durch eine kleine Gruppe hauptamtlich Beschäftigter) organisieren Dialoge und Begegnungen zwischen Gesellschaften und Menschen in Deutschland und Russland. An verschiedenen Stellen seiner Ausführungen berichtete Herr Platzeck über aktuelle und abgeschlossene Projekte des Vereins.

Herr Platzeck sprach über die Motive für sein engagiertes Wirken im Deutsch-Russischen Forum. Zum einen ist er in Potsdam in einer Gegend groß geworden, in der viele Angehörige der Sowjetarmee (zum Teil mit ihren Familien) lebten. Zum anderen hat seine Russischlehrerin nicht nur die Sprache, sondern vieles über das Leben in der Sowjetunion sowie über die Kultur und Geschichte des russischen Volkes vermittelt. Aber ganz entscheidend ist für Herrn Platzeck, dass ihm – auch angesichts der größer werdenden Zahl an Enkeln – bewusst ist, dass etwas getan werden muss, damit diese Generation so wie wir ihr Leben in einem Europa ohne Kriege verbringen kann.

Ende der Epoche des Liberalismus

Nach den Worten von Herrn Platzeck ist die aktuelle Situation in der Welt, in Europa sehr schwierig, unüberschaubar, komplex. Sie ist explosiver als im Kalten Krieg. Wir erlebten das Ende einer Epoche, das Ende des Liberalismus. Die deutsch-russischen-europäischen Beziehungen sind ein Scherbenhaufen, weit weg von einer Partnerschaft, so dass die Bewahrung der friedlichen Koexistenz zum entscheidenden Ziel wird.

Herr Platzeck machte deutlich, dass aus seiner Sicht das gegenseitige Verstehen die Mindestbedingung für Entscheidungen bezüglich der nächsten richtigen Schritte ist. In diesem Zusammenhang ging er auf die Entwicklung in Russland seit 1990 ein. Aus einem Russland ohne „eigene Interessen“ ist wieder ein Staat geworden, der seine Interessen formuliert, die in die Politik einzubeziehen sind.

Herr Platzeck verwies darauf, dass Wladimir Putin als Präsident der Russischen Föderation 2001 im Deutschen Bundestag als Kernbedingung für ein friedliches Miteinander eine Sicherheitskonzeption auf Augenhöhe mit Russland forderte und ihm die Abgeordneten stehend applaudierten. Unter diesem Blickwinkel war die NATO-Osterweiterung ein Fehler.

An vielen Beispielen belegte Herr Platzeck, dass gegenwärtig die Politik Russlands nach anderen Maßstäben bewertet wird als die Politik der USA und der europäischen Länder. Russland konnte aus dem eigenen Sicherheitsbestreben nicht zulassen, dass NATO-Kriegsschiffe im Hafen von Sewastopol vor Anker gehen, genau so wenig wie für die USA 1962 die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba in Frage kam.

Die Schaffung einer Sicherheitsarchitektur müsse das Ziel sein, um aus der gegenwärtigen explosiven Situation heraus zu kommen. Herr Platzeck erinnerte in diesem Zusammenhang an die Ostpolitik der Brandt-Regierung, die in einer ähnlich gefährlichen Situation Wandel durch Annäherung erreicht hatte. Dieses Herangehen wurde von Politkern umgesetzt, die den Krieg „noch in den Knochen hatten“ und keinen neuen wollten.

Keine Vorbedingungen an Rußland

Von Russland einen Wandel als Bedingung für Annäherung zu fordern ist nach Ansicht von Herrn Platzeck der falsche Weg. Sanktionen zerstören einerseits Vertrauen und führen andererseits – wie am Beispiel der Krim erkennbar – nicht zum gewünschten Ergebnis. Bei der Bewertung der Politik Putins müsse bedacht werden, dass er liberaler als 80% der Russen sei und dass ihm angesichts nationalistischer und militaristischer Tendenzen in Russland geholfen werden muss, bei der Bewältigung der sozialen Herausforderungen in seinem Land voranzukommen. Es geht einerseits um die Ausgestaltung des gemeinsamen europäisch-russischen Wirtschaftsraums. Wenn Europa und Russland ihr Wirtschaftspotential nicht verknüpfen werden die USA und China die weltwirtschaftlichen Gewinner sein. Andererseits muss der zivilgesellschaftliche Austausch gefördert werden, damit sich Deutsche und Russen nicht entfremden. Herr Platzeck beklagte, dass an den Schulen kaum noch Russischunterricht angeboten wird und berichtete, dass deutsche Bürgermeister bei der Vereinbarung von Partnerschaften mit russischen Städten zunehmend verunsichert sind, weil sie der Reputation ihrer Kommune schaden könnten.

Lebendige und sachliche Diskussion

Nach dem Einführungsvortrag von Herrn Platzeck, der von den Zuhörern mit viel Beifall und Zustimmung bedacht wurde, berichteten Frau Köhnke und Herr Protz über ihre Erfahrungen bei der Gestaltung des zivilgesellschaftlichen Austausches. Die Ausgestaltung eines vertrauensvollen Miteinanders scheitert zum Beispiel daran, dass die Gesprächspartner häufig wechseln. Herr Protz berichtete, dass sein Verein als NGO zunehmend Probleme bei der Zusammenarbeit mit russischen Partnern hat, weil der gesetzliche Rahmen in Russland eingeengt wurde.

In der anschließenden Diskussion wurde auch die Frage nach den Interessen Russlands in der Ukraine und im Baltikum gestellt. Herr Platzeck erklärte, dass Russland durchaus an der Aufrechterhaltung der Konfliktsituation in der Ostukraine interessiert ist, weil damit eine mögliche Aufnahme der Ukraine in die NATO verzögert wird. Diese Situation führe jedoch – von Russland nicht gewollt – auch zu einer Stärkung des Nationalbewusstseins der Ukrainer. Militärische Aktionen Russlands im Baltikum schließt Herr Platzeck aus, aber er wies darauf hin, dass von Seiten Russlands mehr getan werden muss, um in diesen Staaten Vertrauen in eine friedliche Nachbarschaft aufzubauen.

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Der Saal war voll besetzt

 

Einen wichtigen Raum in der Diskussion nahm die Frage ein, was jeder Einzelne für die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen tun kann. Wer mit der Politik der Bundesregierung in diesem Zusammenhang unzufrieden ist, sollte zum Beispiel mit Mails an Minister und Abgeordnete des Bundestages auf Veränderungen drängen.

Am Ende war man sich – gestützt auf eigene positive Erfahrungen – einig, dass gegenseitige Kontakte einen wichtigen Beitrag leisten können, um den Frieden in Europa wieder sicherer zu machen.

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Dr. Niemann, Herr Platzeck, Frau Scheel und Herr Protz (v.l.)

(Fotos: Kristina Niemann)

(Prof. Dr. Gernot Zellmer)

vom: 06.05.2018