Neue Ausstellung mit Kunstwerken aus Beeskow: „… und des Menschen Größe“

Gedichte von Johannes R. Becher als Quelle für mehrdeutige Kunstwerke

 

Jubiläen wurden in der DDR stets pünktlich, ordensopulent und empathisch begangen. Was viele seinerzeit genervt hat, zeigt sich in der Retrospektive als Glücksfall: Der Becher-Gedichtband „Schritt der Jahrhundertmitte“ von 1958 wurde 1988, aus Anlass dessen 30. Todestages, im Auftrag des Kulturbundes der DDR von 20 Künstlerinnen und Künstlern grafisch und fotografisch reflektiert und verarbeitet. Zu besichtigen ist jetzt die sehenswerte und anregende Präsentation „… und des Menschen Größe“ aus dem Kunstarchiv Beeskow in der Galerie Schloss Biesdorf.

 

Gleich auf den ersten Blick wird klar, dass die Ausstellung abwechslungsreicher ist als die vorangegangene Tucholke-Schau; sie zeichnet sich, wie Galerieleiterin Karin Scheel  formuliert, durch ein „Flirren“ aus. Verantwortlich dafür sind 20 Künstlerinnen und Künstler, die sich dem dichterischen Vermächtnis Johannes R. Bechers gestellt haben. Das sind: Falko Behrendt, Christian Brachwitz, Helmut Brade, Manfred Butzmann, Michael Diller, Andreas Dress, Hubertus Giebe, Konstanze Göbel, Dieter Goltzsche, Ulrich Hachulla, Joachim John, Barbara Köppe, Wolfgang Mattheuer, Manfred Paul, Christine Perthen, Wolfgang Petrovsky, Uwe Pfeifer, Helfried Strauß, Ursula Strozynski, Dieter Tucholke, Werner Wittig Namen, die in jedem seriösen Kunstkompendium zur DDR ihren Platz haben.

Der Kulturbund hielt zu seinem Gründer Johannes R. Becher. Als er diese Mappe anlässlich des 30. Todestages in Auftrag gab, war Becher im literarischen Leben der DDR längst ein „toter Hund“. Der Dichter der Nationalhymne kam aus einer anderen Zeit. Er hatte nun als Gründer des Kulturbundes 1945 die eindringliche Aufgabe gestellt, nach der Niederlage Hitlers das geistige Leben in Deutschland grundlegend zu erneuern. In diesem Sinne dichtete er zu Themen wie dem faschistischen Krieg, der Wiedergeburt Deutschlands oder dem neuen Menschen.

Das themenliefernde Gedicht „Des Menschen Elend und des Menschen Größe“ liest sich so:

Foto: Kunstarchiv Beeskow

 

Ende der 1980er Jahre sind die Künstler allerdings von anderen Problemen angetrieben: zwar geht es immer noch um Krieg und Frieden, aber viel mehr um Sozialismus und Demokratie, um Traum und Wirklichkeit oder Chancen und Beharrung. Sie stellen sich des Dichters Idealen: sie antworten kritisch, aber sie parodieren ihn nicht. Der Band „Schritt der Jahrhundertmitte“ gilt unterdessen als das lyrische Vermächtnis Bechers.

Florentine Nadolni, zur Vernissage am 18. November angereist aus Beeskow, begrüßte wieder eine imposante Schar von Besuchern aus dem Bezirk. Die Leiterin des Kunstarchivs freute sich über die bevorstehende Eröffnung.

Von der Vernissage: rechts Frau Nadolni, in der Mitte Frau Scheel und Kulturstadträtin Frau Witt

 

330 Grafikmappen mit insgesamt 4000 Blättern befänden sich im Kunstarchiv, worauf sich zehn Mappen auf Becher bezögen. Die hiesige Mappe bestehe aus einer Auflage von 20 Exemplaren. Becher habe in seinen Gedichten die „Widersprüche der Epoche weder verschwiegen noch verwässert“, zitierte sie aus einem Gutachten des Kulturbundes von 1958. Die Realisation der Ausstellung stammt, so Frau Nadolni, von Sabrina Kotzian, einer neuen, 1988 (!) geborenen Mitarbeiterin, die vom dkw Cottbus nach Beeskow gestoßen ist. Für sie sind die Gedichte weniger wichtig als die Kunstwerke, die entstanden sind. So empfindet sie eine Nähe zur Grafik von Christine Perthen.

Sabrina Kotzian neben der Perthen-Grafik

 

Die Reibung mit den Werken Bechers ist unterschiedlicher Natur. So kontert ein junger Fotograf wie Christian Brachwitz Bechers „Windflüchter“ mit einer lapidaren Wirklichkeitsentgegnung. Ursula Strozynski kommentiert Bechers „Herbstweisen“ mit einer Oderbruchlandschaft. Und Wolfgang Mattheuer illustriert „Größe und Elend“ auf seine Art: lakonisch.

Die Schau birgt mannigfache Anlässe, sich mit der jüngeren Zeitgeschichte erneut zu befassen. Unentbehrlich dafür ist der Band „Schritt der Jahrhundertmitte“, der als Leseexemplar ausliegt.

 

Nun, 60 Jahre nach Bechers Tod und 30 Jahre nach der Publikation, erfreuen wir uns einer lebendigen und geistig durchreflektierten Mappe,  die ihrerseits die Qualität der Kunstwerke in Beeskow bestätigt. In diesem Sinne ist die Ausstellung sehr zu empfehlen. Sie ist bis zum 25. Februar geöffnet, eine neue Ausstellung folgt bereits im März 2019.

 

 

(Axel Matthies)

 

 

 

 

vom: 27.11.2018